'cause I'm a 21st century digital boy
Teil 4: AN IPOD. A PHONE AND AN INTERNET COMMUNICATOR.
In den späten 90ern und frühen 2000ern war ich fast jedes Frühjahr in Hannover unterwegs. Die Älteren werden sich an die CeBIT erinnern, das war einmal die größte Computer Messe der Welt. Dann hat man mitbekommen, dass man die meisten Infos genauso gut im Internet präsentieren konnte, also hieß es 2017: Weg damit. Bereits am Namen merkt man, dass das Konzept heute aus der Zeit gefallen ist: Centrum für Büroautomation, Informationstechnologie und Telekommunikation.
Ich war da zum Mainboards und Festplatten anschauen, zum Kugelschreiber abgreifen und in späteren Jahren zum Arbeiten. Manchmal wache ich nachts schweißgebadet mit den Worten “DATEV – Der Stand der Dinge. Jetzt in Halle 1.” auf den Lippen auf, weil das in Endlosschleife aus irgendwelchen Lautsprechern in der Nähe des Messestandes plärrte und mir so für immer in den Kopf gehämmert wurde.
Als Hersteller für mobile (!) Navigationssysteme, was ein ziemlich exotisches Businessmodell war, hatten wir in der unmittelbaren Hallennachbarschaft meist die großen Mobilfunkanbieter, da man ja nirgends so richtig dazu passte. Und die hatten alle das gleiche Problem: Sie hatten gerade für perverse Unsummen Stücke des 3G Frequenzspektrum-Kuchens ersteigert, aber hatten keinen Use-Case dafür. Stattdessen schmissen sie die besten Messeparties, aus “o2 can do” wurde am Abend “o2 can Party” und das meinten sie ernst. Wie die Messebauer es schafften, den in der Nacht verwüsteten Messestand am nächsten Morgen wieder so aussehen zu lassen, als wäre gerade erst der Eröffnungstag gewesen, wird wohl für immer ihr Geheimnis bleiben.
Zurück zu 3G. Die damals großen 4 hatten begonnen mobile Datennetzwerke aufzubauen, die keiner haben wollte, und versuchten krampfhaft irgendwie Interesse dafür zu wecken. Nerds und Businesskasper, die mit einer firmen-finanzierten Daten-SIM-Karte im MDA Vario (*grusel*) oder Blackberry (*doppelgrusel*) unterwegs waren, waren die Hauptnutzer, aber damit holt man die Investitionskosten von vielen Milliarden Euro auch nicht wieder rein.
Das alles änderte sich am 29. Juni 2007, als Steve Jobs das erste iPhone vorstellte. Alles, was das Ding an Funktionen hatte, kannte man bereits und nicht mal eigene Software konnte man auf dem Ding installieren. Und 3G? Fehlanzeige, das kam erst ein Jahr später. Und trotzdem war das Ding komplett irre: Es konnte stinknormale Websites anzeigen. Kein schäbiger WAP-Müll, kein proprietärer iMode-Quatsch, sondern good old HTML. Es konnte Mails, Kontakte und Telefonnumern syncen, so, dass es funktionierte. Es konnte einen iPod ersetzen. Es hatte einen funktionierenden Touchscreen.
Relativ schnell nach Erscheinen (zuerst ausschließlich in den USA) fand ein solches iPhone auf dubiosen Wegen zu mir. Zum Glück gab es da bereits die Möglichkeit den SIM-Lock per Software loszuwerden. Ein guter Freund, nennen wir ihn ruhig Lötkolben-Ludwig, musste eine Woche zuvor noch sein nagelneues iPhone zerlegen um 2 winzige Lötstellen miteinander zu verbinden, um ein neues Baseband zu flashen, also dem Telefon zu sagen, dass nicht nur AT&T SIM Karten, sondern auch deutsche T-Mobile SIM Karte zum telefonieren gut geignet sind.
Auf der Arbeit war man sich (bis auf wenige Apple-aus-Prinzip-Hater) einig, dass das Ding die Zukunft war. In einem Café in Hamburg wurde ich auf das iPhone angesprochen und von allen Tischen um mich herum kamen plötzlich Leute, um das Ding mal in der Hand halten zu können, als wäre es der heilige Gral. Freaky!
Vielen Menschen war offensichtlich klar, dass es sich nicht nur um ein neues Telefon handelte, sondern um einen Technolgiesprung, der das Potential hatte maßgeblich unseren Alltag zu verändern. Und die Mobilfunkbetreiber hatten endlich ihre Cash-Cow für den Verkauf von Datentarifen.
Eine andere Entwicklung die in diese Zeit fällt, war das Aufkommen von Social Media Netzwerken. Mein Bruder, der damals in den USA lebte, erzählte immer wieder von “The Facebook” und dass alle an der Uni das nutzen würden. In Deutschland bekamen wir zunächst den billigen Abklatsch in rot: StudiVZ, what a shitty name. Inoffizielles Ziel beider Plattfomen war, KommilitonInnen, (Ex-)FreundInnen und SchulfreundInnen perfekt stalken zu können.
Da ich kein Student war und mir allgemein das Selbstdarsteller-Gen fehlt, hatte ich relativ wenig Interesse an beiden Plattformen und erst, als sich Facebook für Nutzer außerhalb amerikanischer Bildungseinrichtungen öffnete, legte ich mir widerwillig einen Account an.
Das erste Social Network, in dem ich aktiv war, war OpenBC, das sich relativ schnell in Xing umbenannte und auch damals schon eine fantastische Projektonsfläche für kleine Leute mit großen Egos und Bullshit-Bingo-Fähigkeiten bot.
Ein paar Jahre später, als Smartphones endgültig im Massenmarkt angekommen sind, wird das zuvor nur am Rechner genutzte Social Media immer mobiler. Instagram ist war noch eine Photo-Sharing-App, deren Hauptnutzen es war, die Qualität der Kartoffelkamera im Handy so gut wie möglich zu kaschieren. Mit WhatsApp musste man endlich keine Gebühren mehr für SMS bezahlen. Twitter ist u.a. maßgebliche Kommunikationsplattform für den arabischen Frühling und Facebook ist... naja, Facebook halt und war damals schon einigermaßen beschissen. Alle Dienste waren nun dabei mobil zu werden und so schlich sich langsam der sagenumwobenene alles-wissende-Algorithmus in mein Leben ein. Am Anfang dachte ich noch, dass das alles eine gute Idee ist. Schließlich hatte ich plötzlich statt 20 Megabyte E-Mail-Speicher 10 Gigabyte zur Verfügung. Kostenlos. Ist ok, dass die dafür die Inhalte meiner Mails scannen und mir passende Werbung schicken. So spannend sind meine Mails ja auch wieder nicht, oder? Oder? ODER?
Nachdem ich das hier alles getippt hatte, kam DATEV nochmals zurück. Dieses mal am Berliner Hauptbahnhof an Gleis 4 statt in Halle 1. The power of Christ compels you!
Lyrics: Bad Religion – 21st Century Digital Boy
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