BibimBlog

Chinese Democracy

Letzte Woche durfte ich im nationalen Palastmuseum von Taiwan so etwas ähnliches wie die chinesische Mona Lisa bewundern: Den kaiserlichen Fleischstein aus der Qing Dynastie (1644-1911). Wie deutsch kann ein Wort eigentlich sein? “Fleischstein” könnte gut auch der Name einer drittklassigen Rammstein Coverband sein. Am 1. Mai in der Mehrzweckhalle Unterpreppach: Fleischstein, mit dem Auftakt zur Feuer-frei Tour 2023!

Hinter dickem Panzerglas: Der perfekte Belag für eine bayerische Wammerlsemmel, aber aus Stein. Für weitere Informationen empfehle ich dieses kurze Video.

Chiang Kai-shek hat den Stein und die restlichen Schätze der verbotenen Stadt von Peking nach Taipeh mitgenommen. Wer den ganzen Plunder besitzt, solle eigentlich der China-Oberbabo sein. Funktioniert hat das bekanntlich nur mäßig gut, schließlich ist Winnie-the-Pooh gerade der offizielle Kaiser von China.

Das zweite Highlight im Museum wäre der vermutlich nicht weniger beeindruckende Jadekohl gewesen, der ist aber leider gerade an ein Museum in Chiayi verliehen. Dort waren wir und wussten nichts vom Jadekohl! Naja, das nächste Mal dann.

Neben dem Museum ist ein weiters Must-see der Stadt der Taipei 101. Bis 2009 war er der größte Turm der Welt, bis Dubai einen noch größeren Phallus gebraucht hat.

Leider keine Schönheit. Aber groß. Um genau zu sein 508 Meter.

Fast verrückter als der Turm selbst ist dieser 660 Tonnen (!) schwere Schwingungstilger zwischen dem 88. und 92. Stockwerk, der das Gebäude bei Erdbeben und Taifunen stabilisiert. Punkte dafür, dass man sich das Ding aus direkter Nähe anschauen darf.

Einen letzten Ausflug haben wir dann noch in die Taroko-Schlucht auf der Ostseite der Insel gemacht, die deutlich weniger besiedelt und erschlossen ist als die Ebenen auf der Westseite. Hier hat's andauernd Erdbeben, da hier 2 Kontinentalplatten aufeinander prallen.

Für viele, viele, viele Milliarden Taiwandollar hat man zudem einen Berg ausgehöhlt um dort Kampfflugzeuge zu stationieren. Im Minutentakt fliegen die so tief an einem vorbei, dass man ins Cockpit schauen könnte. Gruselig, hat mich ein bisschen an die späten 80er erinnert, als wir in Schweinfurt noch ein große U.S. Base hatten. Aber der kalte Krieg ist ja zum Glück schon lange vorbei, stimmt's?

Leider ist hier absolutes Schwimmverbot. Immerhin nachvollziehbar, da mit der Strömung der nächste Stop Hawaii wäre.

O.J. (not his real name) hat uns viel über Taiwan, die indigenen Einwohner, Chinesen und Erdbeben erzählt. Er war außerdem der Meinung, dass die Einheimischen die besten Bratwürste der Welt machen. Well... yeah. Kinda.

Obacht! Zum Glück haben wir aber Helme bekommen, konnte also nichts passieren.


Und schon sitze ich wieder in Deutschland und damit ist Zeit für ein Taiwan-Fazit:

Taiwan stand auf der Reiseliste so weit oben, da gerade leider nicht klar ersichtlich ist, ob man in den nächsten Jahren noch so problemlos dorthin reisen kann, oder ob der nächste Psycho der Meinung ist, ein Land überfallen zu müssen, in dem er nichts verloren hat.

Nach Taiwan wollten wir letztes Jahr schon, da war das aber mit Corona noch vollkommen unmöglich, man hat niemanden reingelassen. Auch jetzt tragen viele TaiwanerInnen noch überall Maske, da die Regierung nur sehr langsam die Beschränkungen aufgehoben hat und die Menschen offensichtlich sehr dran gewöhnt sind. Häufig, gerade in der vollen Metro, ist das sehr angenehm, auf jeden Fall sehr viel besser als mit den ekligen Maskenverweigerungsdeppen bei uns. An anderen Orten, wie z.B. auf einsamen Wanderwegen kommt es einem dann doch ziemlich albern vor, wenn einem jemand mit FFP2 Maske entgegen kommt.

Die Namen “Republic of China” und “People's Republic of China” klingen erst mal nach “Volksfront von Judäa” und “Judäische Volksfront”. Im Ergebnis unterscheiden sich ROC und PRC dann aber doch gewaltig und das war vielleicht das größte (wenn auch zu erwartende) Learning der letzten Wochen. Ich wusste nur wenig über Taiwan, außer, dass mein Sega Master System in den 1980ern dort gefertigt wurde und China Taiwan zurück haben will, obwohl es doch eigentlich nie dazu gehört hat. In China – und da war ich nur ein paar Tage in Peking vor einigen Jahren – habe ich mich immer ein bisschen unwohl und beobachtet gefühlt. Taiwan dagegen habe ich als das freieste Land in dem ich bislang in Asien war wahrgenommen. Offen schwule Pärchen auf der Straße, vieles sehr jung und fortschrittlich, keine Internetzensur – klar, dass das das der Führung in Peking so gar nicht gefällt.

Allerdings waren viele Travelblogs der Meinung, dass Taiwan eine super-extraordinary-exciting-nature-lovers-dream-beautiful-cozy-fantasy-finger-licking-good-bicycle-Island ist und dem muss ich teilweise widersprechen:

Taiwans Städte und Dörfer sind hässlich, da gibt es kein drum herum. Ich kenne ein paar asiatische Großstädte, aber vieles, was man in Taiwan so in die Landschaft gebaut hat, wirkt eher nach einem HR Giger-Fiebertraum als nach Architektur. Besonders schlimm wird es bei grauem Himmel und Regen. Anderseits ist natürlich nachvollziehbar, dass man nicht besonders auf Ästhetik achtet, wenn einem alle paar Jahre viele Gebäude von einem Taifun oder einem Erbeben beschädigt und zerstört werden.

Die Städte einfach nicht für die vielen Fussgänger ausgelegt, jedes Überqueren einer Straße, auch bei grüner Ampel am Zebrastreifen ist eine Mutprobe, da von irgendwoher immer noch ein Roller geschossen kommt, dem seine eigenes aber auch das Leben seiner Mitmenschen offensichtlich scheißegal ist. Man kann mir unterstellen, dass ich mich da nicht richtig darauf einlasse und dass das in anderen Ländern halt-so-ist aber auch die Einheimischen sind maximal genervt davon. Ebenso: Je deutscher oder SUViger das Auto, desto egoistisch-idiotischer der Fahrer. Ok, das ist nicht Taiwan-spezifisch.

Fahrradfahren wird auch überall im Netz als super Idee für einen Taiwan-Urlaub verkauft, aber selbst ich als Ex-Münchnen-erprobter Kampfradler würde nie auf die Idee kommen, in Taipeh aufs Rad zu steigen um von A nach B zu kommen.

Es stinkt. Die vielen Roller, Autos und die Industrie; sowohl aus dem Inland als aber auch durch die hübschen gelben Wolken, die aus Festlands-China rüberziehen und beim Herstellen unser ganzen tollen Spielsachen entstehen, führen dazu, dass man die Maske in der Stadt auch ohne Coronagefahr gerne aufbehält.

Das ist alles nicht wirklich schlimm, aber ich fand es erwähnenswert, insbesondere, da das Netz wirklich voll ist von übertrieben positiven alles-ist-perfekt-in-Taiwan Berichten. Ansonsten habe ich sehr offene Menschen erleben dürfen, die einem immer versuchen weiterzuhelfen auch wenn man keine gemeinsame Sprache spricht, ein perfekt funktionierendes öffentliches Verkehrsnetz und wunderschöne Natur. Und natürlich die Affen, einfach so im Baum! Und rülpsende Rieseneichhönchen! So vergebe ich abschließend 6,89 von 10 veganen Fleischsteinen.

Ob den Mulmangol in Korea oder den Sauerkraut Fisch in Taiwan, wer reist lernt viel Neues kennen.

Alles ganz schön schräg.

Dank des gesperrten russischen und ukrainischen Luftraums dauert so ein Rückflug aus Taipei dann 15 ½ Stunden.

Und können wir uns BITTE zum Schluß hierauf einigen? Danke.


Lyrics: Guns N' Roses – Chinese Democracy

#unterwegs #travel #Taiwan #Taipei101 #Taroko