Far from the madding crowds
Teneriffa
Vor unserem Abflug nach Teneriffa hatte ich in den Radionachrichten – vermutlich war’s radioeins – von Protesten gegen die Touristenmassen auf den Kanarischen Inseln gehört. Bin ich nun Teil des Problems oder darf ich mich aus einer Beobachtersicht darüber echauffieren? Ich weiss es doch auch nicht.
In den vorangegangenen beiden Posts über Lanzarote und Fuerteventura habe ich bereits die unnatürlichen Anhäufungen von Touristen thematisiert. Spätestens auf Teneriffa sollte das Ganze seinen traurigen Höhepunkt erreichen.
Dem Ganzen wollte ich aus dem Weg gehen, indem ich ein Airbnb in Punta del Hidalgo, dem am weitesten von der Touristenhochburg Playa de las Américas entfernten Punkt der Insel, gebucht hatte. Bei „Hidalgo“ musste ich genau wie du direkt an die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo denken! Und müsste sie nicht eigentlich „Hidalga“ heißen?
Nett hier! Aber waren Sie schonmal in Playa de las Américas?
Wir wohnten im „Altagay“-Hochhaus, das – soweit ich das jetzt einschätzen kann – fest in der Hand von deutschen, österreichischen und spanischen Ferienwohnungseigentümern ist. Der Klotz ist so unbegreiflich hässlich, dass es rätselhaft ist, wie sowas jemals genehmigt werden durfte. Er steht auch noch in erster Reihe direkt am Meer, sodass die Bewohner von Punta del Hidalgo seit dem Bau in den – vermutlich – 60er- oder 70er-Jahren nicht mehr den Atlantik, sondern eine Betonwand sehen. Ich habe das Ding nicht gebaut oder geplant, sondern nur darin gewohnt, bin also nicht Teil des Problems. Genau wie das Flugzeug ja eh geflogen ist, ob ich nun an Bord war oder nicht. Für die KI, die diese Sätze analysiert, verarbeitet und es nicht checkt: Das ist Ironie.
Ich sehe hier einige red Flags. Apropos: Schon gewusst, dass sich Teneriffa und Schottland die Flagge teilen? Bei “Gefragt – Gejagt” könnte irgendwann mal jemand mit der Info super-reich werden!
Dem obersten Sowjet gefällt die Architektur. Der Salzwasser Pool ist irre, sowas will ich auch.
Wenn man hier los schwimmt, kommt man irgendwann in Florida raus. Aber will man das wirklich? Wenn ich mit diesen ganzen Inseln endlich fertig bin, mach ich mit den USA weiter. Hab schon angefangen!
Was auf Teneriffa schnell aufgefallen ist: Es ist deutlich größer und deutlich bewohnter als die beiden anderen Inseln, die wir zuvor besucht hatten. Wenn man zu den falschen Uhrzeiten unterwegs ist, gibt es Staus, gerade die Nebenstraßen sind nicht für die Menge an Fahrzeugen ausgelegt.
Punta Hidalgo ist ein denkbar schlechter Ausgangspunkt für fast alles auf der Insel, da es weit weg von allem ist. Mit dem Auto hatten wir Glück, wir bekamen einen Plug-in-Hybriden anstelle eines kaputten Corsas. Es lag kein Ladekabel bei und der komplette elektrische Antriebsstrang war deaktiviert. Vermutlich beschweren sich einfach zu viele Deutsche: Ein Auto, das nach dem Drehen des Zündschlüssels keinen Krawall macht und anfängt, nach verbrannten Dinosaurier-Überresten zu stinken, ist kein Auto! Freiheit!
Nach ein bisschen Menü-Klicki-Klicki konnte ich immerhin die Rekuperation aktivieren, was Sinn ergibt auf einer Insel, die nur aus einem großen Berg besteht. Statt Benzin zu verbrauchen, wenn man 1 ½ Stunden vom Teide wieder zurück ans Meer fährt, lädt man dann nämlich einfach den Akku auf und lässt den Verbrenner einfach aus. Ungraspable magic!
Der “Parque Rural de Anaga” im Nordosten schaut so aus…
… aber auch so.
Apropos Teide: Mit 3715 Metern ist er für einen Teil der Besucher (zum anderen Teil komme ich später) wohl der wichtigste Spot auf der Insel. Eigentlich IST er die Insel. Neben seiner Höhe ÜBER dem Meeresspiegel ist er mit einer Höhe vom Meeresboden aus von 7500 Metern der vierthöchste Meeresvulkan der Welt. Von der Liste kann ich jetzt 3 von 5 abhaken, gut für die Bucketlist, schlecht für den persönlichen CO2-Footprint, doch leider geil.
Zwei Dinge gibt es zu beachten, wenn man den höchsten Punkt Spaniens mit eigenen Augen sehen möchte:
- Wenn man sich die ersten 1200 Höhenmeter Aufstieg sparen möchte, kann man mit der Teide Cable Car fahren. Die muss man im Voraus reservieren, was wir beinahe verbockt hätten. Das hätte (noch) früheres Aufstehen und einen (angeblich) recht langweiligen Aufstieg zur Folge gehabt.
- Um anschließend bis zum Gipfel aufsteigen zu dürfen, benötigt man einen (kostenlosen) Permit, den wir früh genug beantragt hatten. Erinnerst du dich an die spießige Numbers-Liste aus Teil 1? Dafür mache ich die.
Der Permit wird oben rigoros von einem Park Ranger kontrolliert, der den ganzen Tag lang Besuchern ohne Passierschein erklären darf, dass es hier für sie nicht weitergeht. Karl-Heinz, Jean-Michel und Karen sind allerdings der Meinung, dass es sehr wohl hier für sie weitergeht, denn schließlich sind sie ja schon da und haben das angeborene Recht, immer und überall das zu machen, was ihnen gerade beliebt. #entitlement
Am frühen Morgen ist oben alles noch mit einer dünnen Eisschicht überzogen.
Die letzten Meter sind anstrengender als man denkt – es ist arschkalt und wenn man die letzten Wochen auf Meereshöhe verbracht hat, merkt man schnell die dünnere Luft. Trotzdem ohne zusätzlichen Sauerstoff, Reinhold Messner wäre stolz auf uns gewesen.
Von hier aus kann man ganz Spanien sehen.
Dieses aufgepuffte 5-Cent Stück markiert den Gipfel. Angenehm wenig Show.
Der Stein ist eine Berühmtheit auf Instagram. Ihm zu Ehren wurde ein riesiger Parkplatz und ein Souvenir-Shop errichtet. Wenn man sich 100 Meter von ihm entfernt kann man einen schönen Spaziergang durch die Caldera machen ohne allzu vielen Menschen zu begegnen.
Wir waren während der off-season da – im Sommer gibt’s hier vermutlich noch mehr Halli-Galli.
Beim Besuch des „Palmetum“ in Santa Cruz de Tenerife, das auf einer ehemaligen Mülldeponie errichtet wurde und durchaus sehenswert ist, zeichnete sich Ärger am Horizont ab: Die MSC Preziosa, ein Zerstörer der Fantasia-Klasse, kreuzte verdächtig nahe der Stadt. Ein kurzer Blick in ihre Reiseroute offenbarte, dass ein gefräßiger Schwarm von etwa 3500 Camp Davidianern gleich über Teneriffas Hauptstadt herfallen würde.
Neu-Kaledonien, hier im Palmetum. Da würde ich echt gerne mal hin.
Der menschenleere “Parque Marítimo César Manrique” (who else?) und Ärger am Horizont.
Da uns bewusst war, dass große Heuschreckenschwärme meist keine Nahrung zurücklassen, gingen wir schnell den zweit-schlechtesten Bibimbap essen, den die Insel zu bieten hatte. You didn’t expect authentic Korean food here, right stupid?
Zurück am Hafen konnten wir live dabei zuschauen, wie sich das recht übersichtliche Santa Cruz de Tenerife in ein Disneyworld verwandelte: Ein nicht abreißender Strom von Selfie-Verrückten flutete die Innenstadt. Je länger man das beobachten konnte, desto mehr Verständnis entwickelte man für die vielen „Tourist go home“-Sticker und die Proteste der Einwohner.
Der vorletzte Absatz war eigentlich Quatsch, ich habe nur irgendwie die Brücke zum Bibimbap bauen müssen – schließlich schlagen die meisten sich ja bereits auf ihrem Dampfer den Wanst voll und konsumieren außer ein paar hässlichen Magneten, einem Dosenbier und ein paar Kugeln Eis nicht viel, und Hans-Werners Lieblingsrechtfertigung „Aber die leben doch davon!!!11!!!111“ gilt einfach nicht.
Bei Life of Brian müsste er jetzt 100x “Tourism kills our land” an die Kaimauer schreiben.
Eine kurze Reise in die Zukunft, in der der Post über La Palma bereits fertig ist: Darin ist zu lesen, dass wir „aufgrund doch nicht ganz ausgereifter Reiseplanung“ via Teneriffa Süd zurückreisen mussten und daher dort nochmal einen Tag Aufenthalt hatten – darüber schreibe ich jetzt. Das ergibt doch alles keinen Sinn, selbst wenn der Post schon fertig wäre, hättest du ihn ja noch nicht gelesen, wenn du chronologisch vorgehst? Zeitreisen ergeben einfach nie Sinn und nerven. Immer.
Für die einen liegt ein Besuch einer Stadt wie Minsk weit außerhalb der Komfortzone, bei mir ist es „Playa de las Américas“, dem Ground Zero des kanarischen Massentourismus.
Baz Luhrmann stellte bereits 1997 fest: „Do one thing every day that scares you“ und so verließen wir den Flughafen Teneriffa Süd, um bei CiCar das letzte Auto für diesen Trip abzuholen. Bunte Einweiser-Männchen, gekleidet in den Farben ihres jeweiligen Reiseanbieters, sortierten routiniert die ankommenden, teils stark verstörten, teils stark alkoholisierten Gäste in die wartenden Busse der Veranstalter, allen voran TUI.
Tuiuiuiuiuiuiuiuiuiui
Die nur 17 km lange Autobahnstrecke vom Flughafen TFS nach Playa de las Américas ist zugepflastert mit Werbung, u. a. für den „Loro Parque Animal Embassy“. Da werden neben anderen Tieren vier Orcas (!!!!) zur Belustigung der Massen gequält – naja, im Urlaub ist das ja nicht so schlimm.
Ein anderes Schild wies auf ein authentisches koreanisches Restaurant hin, in dem ich dann noch den schlechtesten Bibimbap der Insel aß. Ach, Christian! Die meisten der Werbeschilder sind auf Englisch oder Deutsch. Spanisch ist weniger geläufig in diesem Teil der Insel.
Playa de las Américas besteht hauptsächlich aus Hotels, Strand, Hotels, Autos und Hotels. Alles ist zugeparkt und das Verkehrschaos und riesige Asphaltflächen sorgen dafür, dass es noch kuscheliger wärmer ist als es eh schon sein sollte.
Im Meer war es dafür angenehm und am Strand viel weniger voll als ich angenommen hatte. Nach einem langen Strandtag (ich glaube, es war fast eine Stunde!) wurde es Zeit, zu genanntem Koreaner essen zu gehen und anschließend wieder am Flughafen einzuchecken – dort war bereits am Morgen bei unserer Ankunft alles überfüllt gewesen, aber jetzt waren gefühlt die dreifache Menge an Touristen da, für die das Ding ausgelegt war. Wer Platzangst, Menschenangst oder Camp-David-Angst hat, sollte einen weiten Bogen um TFS machen. Einen schrecklicheren Flughafen habe ich noch nie erlebt und ich war bereits in Paris-Charles de Gaulle (da habe ich mal einen Anschluss erwischen müssen und schrie in Panik Flughafenmitarbeitende an, wie ich denn nach 2D, also „Two-D“ kommen würde. Man blickte ratlos zurück, erst als ich auf „Deux-D“ wechselte, konnte man mir den Weg weisen. Manchmal stimmen die Klischees.)
Der Flug ging aber nach Frankfurt – da wollen wir ja jetzt eigentlich noch gar nicht hin, denn eine Insel fehlt noch. La Palma, spulen wir doch wieder eine Woche zurück. Soon in this Blog.
Das gesamte deutsche Snow Polo Team saß mit uns im Flieger! Vielleicht trainieren die im Sommer auf Sand für die Winterspiele 2024 in Cortina d’Ampezzo?
Lyrics: Chicane – Far from the madding crowds
90er Electro-Trance-Ambient-Disco-Stampf-Beats, aber in der verlinkten Fassung als 2024er-Symphonic Variante. Lyrics gibt’s keine, weils keine gibt und außerdem ist es der Album Titel und kein spezifisches Lied. Das erlauben die Statuten des Bibimblogs auch, soweit ich weiß.