BibimBlog

I used to sleep at night, before the flashing lights settled deep in my brain

Wie in meinem ersten Post bereits erklärt, soll es hier um alles Mögliche gehen. Gerade bietet sich das Thema Korea natürlich an, aber eigentlich ist das BibimBlog kein reines Reiseblog. Und so erzähle ich jetzt mal über mehrere Posts hinweg meine persönliche Online-Geschichte, um zu klären, wo meine Begeisterung für die vernetzte Welt mal herkam und warum ich mittlerweile mit vielen Teilbereichen so am Hadern bin. Es wird nerdig/technisch/detailverliebt, you have been warned.

Mama, der alte Mann erzählt wieder vom Cyberspace!

Teil 1 – ATTENTION, DIAL PULSE!

Mein Vater war in den frühen 70ern maßgeblich daran beteiligt, dass mein Heimatkaff eines der ersten in Bayern mit einem Computer wurde. Da wurden fleissig Lochkarten gestanzt und alle KollegInnen waren megaskeptisch, wofür man diesen neumodischen Kram überhaupt brauchen würde. Also ziemlich genau der Stand, auf dem wir bis heute in der Verwaltung im öffentlichen Dienst stehen geblieben sind.

Zeitungsartikel, Schweinfurter Tagblatt, 1971. Mein Vater, der Oberinspektor, steht hinten. Wen außer mir interessiert, zu welchen Rechenleistungen der P352 in der Lage war, hier das Philips Produktverzeichnis von 1971. Ich scan den Artikel dann in Deutschland nochmal ordentlich, versprochen.

Zeitsprung in die 80er. In Papas Arbeitszimmer steht ein Computer. 8086er, 286er, 386er… es wird immer auf den neuesten Stand der Technik upgegraded.

Manchmal durften mein Bruder und ich mal an seinem Rechner spielen, dabei sammelte ich meine ersten Erfahrungen mit MS-DOS:

CD SPIELE
CD CAT
CAT.EXE

Die ersten Spiele, die mein Vater auf labberigen 5 ¼ Zoll Disketten aus dem Büro mitbrachte waren Alley Cat, 3-Demon, Sokoban, Leisure Suite Larry in the Land of the Lounge Lizards (gar nichts für Kinder, hat damals aber halt einfach keiner gecheckt) und etwas später dann noch mein erstes Jump and Run, Captain Comic. Ein Zeichenprogramm namens Deluxe Paint, verwende ich, um Inseln mit Pixel-Eisenbahn-Strecken drauf zu malen. Also eigentlich Minecraft in der 1987 Edition.

Hier wird Summer Games 2 gezockt, das einzige Spiel, das wir als Original hatten. Prepare to fence!

Der Schneider Computer ist schon ein neueres Modell mir 3 ½ Zoll Disketten und vermutlich EGA Grafik.

„Online“ ist zu diesem Zeitpunkt übrigens gar nichts. Wenn, dann hieße es auch nicht online, sondern, dass der Computer über DFÜ verfügt, also mit einem Modem oder Akkustikkoppler eine Verbindung herstellen kann. DatenFernÜbertragung ein Wort, ähnlich cool wie die ElektronischeDatenVerarbeitung. Bei Genitalien und Computerkram hat die deutsche Sprache wenig zu bieten.

Irgendwann hatte mein Bruder dann seinen eigenen Schneider Euro PC mit externer-rappel-rappel-Tausendmark-20MB-Festplatte , monochromer Hercules Grafikkarte und bernsteinfarbenen Monitor. Wer braucht schon Farben. Diesen PC konnte ich deutlich einfacher heimlich benutzen, als den von meinem Vater wenn mein Bruder noch in der Schule war. Sorry, Matthias!

Anfang der 90er war es dann endlich soweit und ich übernahm einen alten 286er von meinem Papa, 2 Diskettenlaufwerke, crazy riesiger 20MB Festplatte und VGA Grafikkarte. Dazu kaufte ich mir eine Soundblaster-kompatible Soundkarte. Mein erster eigener Rechner!

So 1993-1994 wurde mein Rechner dann DFÜ fähig. Mein Vater hatte sich damals vermutlich von seinem Bankfuzzi einen Bildschirmtext-Zugang aufschwatzen lassen. BTX war sowas wie ein interaktiver Videotext. So richtig funktioniert hat das damals aber leider nie für ihn. Da Papa nie der geduldigste war, landete das BTX-Modem irgendwann in seiner Kiste von gekaufter-aber-nie-so-richtig-benutzter Technik. Ich war immer ein großer Freund dieser Kiste, da ich mich da bedienen konnte.

Ich fand heraus, dass die Probleme, mit denen er zu kämpfen hatte an unserer damaligen Haus-Telefonanlage lagen. Da musste man einen 0 vorwählen um ein Amt (Fräulein vom Amt, hihihi) zu kriegen, ausserdem unterstützte das Ding nur Impulswahl und keine Tonwahl, also so, wie auch meine Oma schon mit ihrem Wähscheibentelefon einen Arzttermin ausgemacht hat.

Modems steuerte man über AT Kommandos (ATtention) in einem Terminal Programm. OK, streng genommen wird auch der Mobilfunkteil jedes aktuellen iPhones über AT Kommandos gesteuert, da sind aber mittlerweile zum Glück 150 Abstraktionsschichten drüber und man hat damit nichts mehr zu tun.

AT&S0
ATDP 0,

Dank Modemanleitung und Computerzeitschriften fand ich heraus, dass ich diese beiden Befehle brauchte, um dem Modem zu sagen, dass es nicht auf ein Freizeichen warten sollte, um aus der Haustelefonanlage rauszukommen und der Telefonleitung eine kurze Pause zu geben, bis die eigentliche Nummer mit Impulswahl gewählt wird.

Also: Was heute zum Glück jeder Hans und Franz kann, indem er sein Handy aus der Hosentasche zieht war zu Übergangszeiten von New Kids on the Block zu Take That eher den technikaffinen Leuten vorbehalten.

Online gehen war 1993 nicht mit ins-Internet-gehen gleichzusetzen. Also, was mache ich denn jetzt mit meinem Modem? Das eben erwähne BTX der Bundespost (laaaaaaangweilig!) oder aber: Mailboxen, auch BBS (Bueltin-Board-System) genannt. Das waren lokale Systeme bei denen man sich, bestenfalls zum Ortstarif, einwählen konnte. Praktischerweise befand sich eine der größten bayerischen Mailboxen in meinem Nachbarkaff. Yeah!

ATDP 0,0972irgendwas

Modem macht ca. 30 Sekunden lang aufgeregte Roboter-Paarungsgeräusche. Naughty!

CARRIER DETECTED

Yeah verbunden! 9600 BAUD pure Highspeed-Freude. Mit der Geschwindigkeit könnte man die Buchstaben auch einzeln durch die Leitung brüllen, wäre auch nicht viel langsamer.

Dann fragt der freundliche Amiga auf der anderen Seite der Verbindung nach einem Usernamen und Passwort oder ob man ein neues Handle anlegen möchte. Handle kommt ursprünglich aus dem CB Funk und bei vielen Begrifflichkeiten der frühen Online-Welt hat man der Terminologie der Funker bedient.

Also registrieren. Wie heiße ich denn? Kurze Zeit zuvor hatte ich die beiden VHS Kassetten „Malcolm X“ und „Hellraiser“ irgendwo nebeneinander im Regal stehen stehen. Also Malcolm Raiser. Ich habe beide Filme bis heute nie gesehen. Alles weitere brav ausgefüllt. Mailbox sagt danke und auf wiedersehen.

NO CARRIER   

2 hässliche Wörter, die Gegenseite hat entweder aufgelegt oder die Verbindung ist anderweitig unterbrochen wurde.

Einige Zeit später klingelte das Telefon und ich hatte den Sysop der Mailbox am Ohr, der mir erklärte, dass er mein Handle nun freigeschaltet hat und ich bitte als erstes mal die Netiquette durchlesen sollte, dazu schickt er mir eine Mail. Juuhuu, wieder einwählen!

Login: Raiser
Passwort: 

Jedes Mailbox System bediente man anders. Und so gab es erst mal eine Übersicht, wie man hier zurechtkommen sollte. Mit dabei unter anderen /L um eine Liste der User anzuzeigen, die außer mir auch gerade angemeldet sind.

/L

Eine Liste mit 8 Handles erscheint, die meisten mit irgendwelchen Star Trek Namen. An diesen Augenblick kann ich mich sehr genau erinnern. Und an den prägenden Gedanken „Da sind andere Menschen in meinem Computer!

Ein weiterer Befehl, den ich gerade gelernt hatte war /OLM – OnLine Message um anderen eine Nachricht zu senden.

/OLM Dax Hallo!

Und ich bekam eine Antwort! Die weiß ich nicht mehr und der Inhalt ist auch egal – aber das Gefühl, dass ich über meine Tastatur plötzlich nicht nur mit dem Computer sondern mit anderen Menschen kommunizieren konnte war ziemlich verrückt.

Mit meiner Anmeldung wurde ich Besitzer einer E-Mail Adresse. Was das bedeutet, wurde mir erst später klar. Ich hatte keine Verwendung für E-Mail, ich kannte niemanden, der auch eine Adresse hatte außer den Leuten in der Mailbox und mit denen konnte man ja olmen. Aber ich hatte – ohne es zu wissen – meinen ersten Internet-Dienst angemeldet.

Mailboxen waren untereinander vernetzt und glichen Daten ab, meistens nachts, da es da billiger war. Das passierte im MausNet, FidoNet, Internet und sicher noch ein paar anderen. Also war das Internet für mich ein Netz von vielen und interessierte mich erst mal nicht weiter.

Was konnte man sonst noch so in einer Mailbox machen? Sachen downloaden z.B. Musik in Form von MOD-Files (der perfekte Soundtrack für diesen Post), Bilder, Texte, Software – alles was es heute halt auch im Internet gibt. Nur halt seeeeeehr langsam. Während des Downloads konnte man auch nichts anderes machen – nicht mal olmen! Und dann gab es natürlich Foren. Dort wurde über alles mögliche diskutiert und wenn es zu wild wurde, war der Sysop der jeweiligen Mailbox dafür verantwortlich, den/die entsprechende UserIn zu ermahnen oder im Wiederholungsfall den Account zu sperren.

Der Spaß hat mich schlußendlich große Teile meines Taschengeldes gekostet, da der Gebührenzähler alle 6 Minuten, abends alle 12 Minuten (jaja, der Mondscheintarif!) 23 Pfennige weiter gesprungen ist. Der Gebührenimpuls wurde durch einen hochfrequenten Ton in der Leitung realisiert, der mein Modem manchmal derartig verwirrte, dass es sich mit einem lauten Klacken und NO CARRIER aus der Leitung verabscheidet hat. Nerv!

Unpraktisch für meine Eltern war, dass sie nach 18:00 Uhr oft stundenlang nicht mehr telefonisch erreichbar waren. Die eine Telefonleitung, die wir uns teilten, wurde von nun an exklusiv von mir blockiert.

Mein Papa hatte dann übrigens auch wieder ein Modem, natürlich ein schnelleres und dank meiner Mithilfe klappte es dann auch mit dem BTX-Online-Banking. Halleluja.

Auf einem Usertreffen 1-2 Jahre später fühlte ich mich ziemlich deplatziert. Ich war mit der Jüngste, die Gesprächsthemen waren nicht meine Welt und ich verschwand relativ schnell wieder von dort. Hinter den vielen Vulkaniern, Cardassianern und Klingonen versteckten sich im echten Leben auch nur die Leute aus der Nachbarschaft. I was lost standing in the wilderness downtown.

Also, auf zu Größerem! Auf ins World Wide Web! Irgendwann in Teil 2.


Lyrics: Arcade Fire – We used to wait

Außerdem, wie im Text erwähnt: Space Debris von Markus Kaarlonen. Nostalgia kicks hard for me on that one. Ich hatte selbst nie einen Amiga, aber war fasziniert von den musikalischen Fähigkeiten der Kiste; da konnten die ganzen DOS Computer so gar nicht mithalten.

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