Jugend ohne Gott gegen Faschismus
In meiner akutellen Wahlheimat Berlin wird man ständig mit der deutschen Geschichte konfrontiert. Also mit Schlössern, Nazis und Grenzen. Was jetzt kommt ist mega-durcheinander, so wie es mir aus dem Kopf in die Tastatur gefallen ist, aber genau so durcheinander ist der ganze Brei halt auch in meinem Schädel.
Zunächst wären da die preußischen Könige und diverse deutsche Kaiser zu nennen, bei denen ich mir nie merken kann, was so genau ihre Mission war, außer vielleicht gigantische Schlossanlagen mit großen Gärten zu bauen, weil der ausländische Mitbewerber sowas ja auch hat und man ihn daher nochmals ONE-UPen muss. Penisvergleich, wie immer das alte, lästige Thema hier in Form von Gartenbau und Flächenfraß umgesetzt.
Wenn ich groß bin, hab ich auch eine eigene Orangerie! Aber mit Kokosnüssen. Eine Kokoserie! Mmmmhhhh, Kokosnüsse!
Die anderen beiden großen Themen sind natürlich der 2. Weltkrieg und die deutsche Teilung danach.
Da mache ich natürlich ein riesiges Fass auf, grundsätzlich will ich aber auch meine stark vorurteilsgeprägten Sichtweise auf den Osten Deutschlands beleuchten. Ich mache ja immer gerne einen auf love-and-peace-and-open-minded, aber leider tue ich mir mit Ostdeutschland da wirklich schwer. Keine Toleranz der Intoleranz und so. Woher kommt’s? Von den vielen negativen Erlebnissen, die ich hier schon hatte.
Disclaimer, den ich hier noch nachträglich einfüge, obwohl es eigentlich eh klar sein sollte, der ganze Text aber eh schon ein einziges Minenfeld ist: Ich würde nie behaupten, dass ALLE Menschen im Osten rechts, saudoof oder sonst was sind, genausowenig wie alle Bayern Haxen-fressende-CSU-Lederhosen-Maßkrug-Junkies sind. Es geht mir um den strukturellen Rassismus im Osten. Wobei das mit Bayern sicher auch mal aufgearbeitet werden muss. Mia san mia.
Also:
Das Dorffest im Vogtland wo zwischen den “normalen” Leuten immer wieder Klischee-Glatzen standen als wäre es das normalste der Welt.
Aus Ilmenau in Thüringen, wo Freunde von mir studierten und man nachts nicht in die Innenstadt ging, weil da die Nazis waren und ja, ok, weil die Studentenclubs eh besser war.
Aus der Uckermark, wo ich mal auf dem Weg von Berlin an die Ostsee aus dem Auto ausgestiegen bin um was zu Essen zu holen um ausschließlich von Thor-Steinar bekleideten Menschen umgeben war und es vermutlich meine Rettung war, zumindest optisch als Bio-Deutscher durchzugehen.
Und dann noch das Nazi Pärchen, die mit ihren “Ungeimpft, unbeugsam!” Shirts letztes Jahr in einem Hotel an der fränkisch-thüringischen Grenze auf sächsisch hustend ziemlich sicher für mein schönstes Geburtstagsgeschenk letztes Jahr gesorgt haben: einen positiven Coronatest.
Also Zeit, meinen Vorurteilen auf den Grund zu gehen und sich mit (Heimat?)-Land und Leuten auseinanderzusetzen. Ich fange mit dem Hässlichsten an, was Deutschland da zu bieten hat.
Eine halbe Stunde mit der Bahn von Berlin entfernt befindet sich bei Oranienburg das ehemalige Konzentrationslager Sachsenhausen. Man kann sich einen Audioguide leihen, was auch dringend zu empfehlen ist, da unter anderem Augenzeugenberichte von Überlebenden zu hören sind, aber auch allgemeine Erklärungen. Eine davon hat mich dann nach 2 Stunden Aufenthalt endgültig gebrochen, es ging um medizinische Versuche, die an Kindern vorgenommen wurden. Alles komplett entmenschlicht, mit deutscher Gründlichkeit. Orte, die ich bisher besucht habe und den Gefühlen, die man da empfindet am nähesten kommen, waren die Holocaust Gedänkstätte Yad Vashem in Israel, das Hiroshima Peace Memorial Museum und natürlich die KZ Gedänkstätte Dachau. Insgesamt haben wir uns 2 Stunden aufgehalten, länger hätte ich es nicht geschafft. Vielleicht sollte es eine Pflicht für Menschen mit deutschem Pass geben, alle 5-10 Jahre mal anzuschauen, welchen Wahnsinn die (Ur-)Großeltern da unterstützt haben.
Die Aufarbeitung des 2. Weltkrieges in der DDR war eine andere, als im Westen. Die Plastik “Befreiung” zeigt die Befreiung des KZs durch die rote Armee. Im Audioguide wurde erklärt, dass die Häftling nicht als schwach und ausgehungert dargestellt werden durften, sondern als starke Kämpfer für den Sozialismus. Nicht allen Gruppen, die hier missbraucht, gefoltert und getötet wurden, wurde hier gedacht, sondern primär denen, die ins System passten. Auch wurde das Gelände durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD nach 1945 weiter grausam genutzt. Heute ist ein Teil des ehemaligen SS-Truppenlagers die Hochschule der Polizei Brandenburgs. Schwierig, finde ich.
Nach unserem Besuch der KZ Gedenkstätte sind wir weiter nach Stralsund gefahren und da “HERRENtag” war, mit vielen Betrunkenen im Zug, was ein ziemliches Kontrastprogramm war, nachdem man sich gerade mit der “HERRENRasse” auseinandergesetzt hatte. In Neustrelitz mussten wir eine Stunde auf einen Anschlusszug warten und so durfte ich zum einen die perfekt sanierte, menschenleere Innenstadt bewundern, aber auch die vielen Nazi-Aufkleber an den Laternen. Dazu später mehr.
Am Abend sind wir in Stralsund mit dem Bus von unserem Bahnhof zur Störtebeker Brauerei gefahren, wo ein stark alkoholisierter Mann zwei Jungs mit türkischem Migrationshintergrund erklärte, dass sie aufhören sollten, ihr Kanakendeutsch zu sprechen und ordentliches Deutsch lernen sollen. Er lallte so stark, dass ich ihn kaum verstehen konnte.
Am nächsten Tag weiter nach Binz. Am Bahnhof Teschenhagen irgendwo auf Rügen klebte ein Aufkleber “Deutschland den Deutschen”. Daneben noch ein paar andere, mit vermutlich ähnlicher Message, der Zug war dann aber zum Glück bereits weitergefahren und ich konnte es weder lesen noch fotografieren.
Wer Binz sagt muss auch Prora sagen oder auch Kraft-durch-Freude-Seebad Rügen. Da hatten sich die Nazis überlegt, dass die gute deutsche Familie ja auch mal eine Auszeit von dem ganzen Unterdrücken und Foltern braucht und hat ein paradiesisches Urlaubsziel für linientreue Nazis geplant, welches, leiderleiderleider, wegen dem blöden Krieg nie fertig wurde.
Auch hier wird eine Umnutzung der Gebäude vorangetrieben. Ich war 10 Jahre zuvor schon mal in Prora, da waren weite Teile noch Ruinen, jetzt wird der Koloss von Prora zu Ferienwohnungen umfunktioniert. Auch hier weiss ich nicht so recht, was ich davon halten soll.
Zeitsprung, Ortswechsel und noch mehr: Ich war – ca. 1988, also so mit 7-8 Jahren – gemeinsam mit meinen Eltern an der innerdeutschen Grenze in der Rhön gestanden und kann mich gut erinnern, wie ich mir von meiner Mutter erklären ließ, dass da oben in dem Turm wirklich Leute stehen, die Menschen erschießen, die versuchen auf die andere Seite zu kommen. Das hat mich schwer beindruckt (oder auch traumatisiert, je nach Sichtweise) und so saß ich 1990 gebannt vor meinem Radio, als Bayern 2 diverse Radioberichte über die anstehende deutsche Wiedervereinigung machte. Einges davon nahm ich auf Kasette auf und spielte es in der Schule ab, als wir uns im Heimat- und Sachkunde Unterricht darüber unterhielten. Unter anderem war da ein alter Propaganda Text dabei “Kommt rüber in die DDR”, der wohl die Leute im Westen überzeugen sollte, dass die DDR eigentlich auch ganz geil ist. Und so war früh meine Faszination für Propaganda und autoritäre Regime geboren aber sicher nicht, weil ich dem irgendetwas positives abgewinnen kann.
Relativ kurz danach ging es mit rechten Ausschreitungen in der nun ehemaligen DDR los, exemplarisch sei da Hoyerswerda 1991 genannt. Zu dieser Zeit hörte ich vorpupertär ziemlich viel Roxette, die Erste Allgemeine Verunsicherung und die Toten Hosen. Während ich wahrscheinlich das meiste nicht kapierte, über das Campino da sang, war mir von Anfang an klar, dass Nazis und ihre Ideologie saudumm sind. Rechts war für mich also bereits früh sehr negativ besetzt, ohne das ein erzieherisches Eingreifen von Schule oder Eltern stattgefunden hatte.
Zurück an die Reste der innerdeutschen Grenze, Berlin bietet da ja umfangreiches Anschauungsmaterial, sei es die East-Side-Gallery oder die Gedenkstätte Berliner Mauer.
Der rekonstruierte Abschnitt der Mauer an der Bernauer Straße.
Die Treppe im Museum hatte leider keine Erklärung, wie sie zu ihrer koreanischen Beschriftung kam. Das Schicksal ein geteiltes Land zu sein, ist aber sicher ein Grund für meine Faszination mit Korea. Und das Essen. Das ist halt einfach besser.
Und da dieser Post sich eh schon in 70 verschiedene Richtungen verzettelt hat, und Korea-Content immer gut kommt, nehme ich noch die 71. dazu: Die innerkoreanische Grenze, die ich an 2 Punkten besucht habe, ganz im Westen 2014 bei Imjingak sowie 2022 bei Goseong. Scroll down, am Ende ergibt dieser Exkurs sogar ein bisschen Sinn.
”Picture Time” brüllte die Tourleiterin, aber 2014-Christian fällt es sichtlich schwer, an diesem Ort vernünftig zu schauen.
Der ist echt und kümmert sich darum, dass der Nordkoreaner nicht reinkommt, solange die Touri-Gruppe aus dem Süden drin ist.
Blick aus dem Fenster in Nordkorea. Sand und Kiesel unterscheiden Kommunismus (naja, eigentlich Juche, aber sind wir mal nicht so genau) von Turbokapitalismus.
Der nord-östlichste Punkt Südkoreas, Goseong, mit Observatory und Blick in den Norden.
An keinem Strand der Welt gibt es weniger Coco Bello Verkäufer als hier.
Und was finden wir hier? Ein Stück Berliner Mauer, das sehr weit gereist ist!
Dies hier ein paar hundert Meter von Nordkorea entfernt zu sehen ist ganz schön wild.
Eines der ersten Autos, dass in den Norden fahren kann, sobald die Teilung überwunden ist.
Uuuuund wieder zurück nach Deutschland, in die Planstadt Eisenhüttenstadt, 1 ½ Stunden von Berlin mit dem Deutschlandticket, a.k.a. Stalinstadt a.k.a. (mein Favorit) Schrottgorod. Wobei das im Jahr 2023 zu 95% nicht mehr stimmt, die Innenstadt ist saniert, nur stehen viele Geschäfte leer, weil man auch hier clevererweise ein großes Einkaufszentrum hingestellt hat.
Ein Erklärbär, damit ich das nicht alles selber schreiben muss.
GERMANIA barbarica thront am Nordende der Lindenallee auf ihrem Podest. Eigentlich wollte ich einen “Hahaha, auf der letzten Rammstein Tour auf der Bühne vergessen, nachts kommen dann Flammen aus Augen und Brüsten” Text hier drunter schreiben, bis ich nachgelesen habe, dass es bei der Skulptur genau um das Thema Rechtsextremismus und die hässliche Fratze Deutschlands dreht. Ignoranz steckt halt in uns allen.
Und dann wieder die gruselige Realität ein paar Meter weiter. Eine Frau, die in ihr Auto einstieg musterte mich genau, als ich den Sticker fotografierte.
Eisenhüttenstadt ist wie bereits erwähnt eine Planstadt, mit mächtigen, breiten Straßen, was schwer auf Bildern festzuhalten ist. Ein Mann, der auf der anderen Straßenseite ging, musterte mich genau, als ich die Straße fotografierte.
Schick renoviert, menschenleer und gebaut, bevor die Platte in Mode kam.
90er Festival im Strandbad Müllrose, mit City Hotel Lunik im Hintergrund. Where did you come from, where did you go? Where did you come from, Cotton-Eye Joe?
Nochmal das Lunik in seiner ganzen Pracht, faierweise muss gesagt werden, dass dies das einzige Gebäude ist, dass in so einem traurigen Zustand ist. Put me up, fill my heart and make me happy. Ya-ya-ya coco jamboo, ya-ya yeah.
So ein schickes Mosaik! Man beachte die Flaggen der Sowjetunion, DDR und Polens oben rechts in der Ecke. Boom boom boom boom. I want you in my room. We'll spend the night together. From now until forever.
Der 90er-Dancefloor Soundtrack kombiniert mit der Internationalen hing in meinen Hirnwindungen fest, als mir im örtlichen Edeka ein Herr mit Shirt-Aufschrift “HKN KRZ” in der Getränkeabteilung entgegenkam. Hallihallo!
Neben der Stadt als großes Outdoor-Museum gibt es noch das “Museum Utopie und Alltag. Alltagskultur und Kunst in der DDR” sperriger Name, spannender Ort! Als wir unsere Tickets kauften, wurden wir gefragt wo wir herkommen. Da ich gerade gefühlt nirgendwoher komme, antwortete ich spontan “München” was ja auch so halb richtig ist. Die Museumsfrau war begeistert und erklärte uns sehr genau, was es alles zu sehen gäbe und dass Eisenhüttenstadt wirklich sehr spannend sei, trotz der Probleme mit der AFD. Hat sie das gesagt, weil sie denkt, dass ich als Vorurteils-Wessi die Stadt eh nur auf die Nazis reduziere? Oder weil sie sich einfach dafür schämt, dass die AFD hier so groß ist? It’s complicated.
Viele Exponate aus der DDR. Ich empfehle unbedingt einen Besuch.
So, und jetzt? Ich hätte noch viele weitere konfuse Geschichten über die DDR, die Stasi, Nazi-Deutschland, West-Deutschland, Ost-Deutschland und Deutschland zu erzählen, aber ich muss das Ding hier mal zu Ende bringen. Wie eingangs erwähnt, tue ich mir mit dem, was im Osten passiert schwer. Es ist gesellschaftlich akzeptierter, hier rechts mit dem Holzhammer zu sein und das nach außen so dumm und plump wie möglich zu zeigen. Nein, akzeptierter ist es nicht, es gibt halt direkt auf die Fresse, wenn man seinen Mund dagegen aufmacht und der Rest muss es hinnehmen, wodurch es immer mehr normalisiert wird und ganz offen im Alltag zu sehen ist. Wenn der Staat in der Verfolgung rechter Gewalt viel zu wenig unternimmt, passiert halt irgendwann das, was wir gerade in Leipzig sehen – das kann auch nicht die Lösung sein, aber für mich nachvollziehbar, aus welcher Verzweiflung dem rechten Gesindel gegeüber es resultiert. Die rechtsradikale Ideologie bleibt für mich weiterhin nicht greifbar, es geht mir nicht in den Kopf, wie man aus dem, was man aus der Geschichte gelernt haben sollte diesen Mist auch nur ansatzweise ansprechend finden kann.
Die Nazis haben wir im Westen genauso, es sind weniger und sie tarnen sich besser. Sie sind mindestens genauso gefährlich wie ihre deutlich leichter zu identifizierenden Ost-Pendants und Politiker wie beispielsweise Aiwanger und Söder biedern sich ihnen aktuell geradzu an um Wählerstimmen abzugreifen. Die landen dann aber beim Original, der AFD. Also klassische lose-lose Situation.
Heute z.B. demonstriert der rechte Mob in München gegen eine Dragqueen Lesung, gegen die Werbung mit Postern gemacht haben, die direkt aus der NS Zeit stammen könnten. Keine Pointe, aber hier das musikalische Fazit dazu:
Musik
Überschrift:
Tocotronic – Jugend ohne Gott gegen Faschismus
Im Text, der Walkman meiner frühen 90er:
Roxette
Empohlenes YouTube-Rabbit-Hole: Musikvideos aus den 80ern und 90ern, die vom original Filmmaterial neu abgetastet und dann in 4K remastered und restored wurden.
Erste Allgmeine Verunsicherung
Damals sicher gut und progressiv, jetzt aufgrund der Lyrics eingentlich unhörbar. Ich hab das Lied sicher nicht kapiert aber fröhlich mitgesungen, genau wie bei Burli.
Die Toten Hosen
Schwierig, schwierig. Bis vermutlich zu diesem Album erträgliche Band, danach (10 kleine Jägermeister) ziemlich peinlich. Muss man aber halt auch im Kontext der Zeit sehen, gar nicht gut gealtert.
Lineup des 90er Festivasl im Strandbad Müllrose:
Venga Boys – Ibiza
Die offizielle Hymne zur Regierungskrise in Österreich mit H.C. Strache. Ganz großes Tennis.
Rednex
Mr. President
It is, what it is.
Der letzte Absatz:
Antilopen Gang – Baggersee