La Isla Bonita
Wären wir statt nach La Palma nach Gran Canaria geflogen, hätten wir dort die größte Stadt der Kanaren, Las Palmas, besuchen können.
Maspalomas ist namentlich weit genug von La Palma entfernt, um sofort zu wissen, dass es sich ebenfalls auf Gran Canaria befindet.
Um am Ballermann abzuhängen, wäre Palma ein gutes Ziel gewesen. Das ist aber auf Mallorca und als Baleareninsel hier irrelevant. Außerdem will ich da nicht hin (trotz des wunderschönen H1nTeRlaNd3s).
Hat man sich also wie wir für La Palma, die Insel, entschieden, landet man in Santa Cruz, das sich den Namen mit der größten Stadt Teneriffas teilt. Apropos Teneriffa: Im nördlichen Puerto de la Cruz findet sich der Stadtteil Cruz Santa, der aber nichts mit Santa Cruz, einer Stadt auf dem benachbarten Madeira, zu tun hat. Jetzt reicht's, das ließe sich unendlich fortsetzen. „¿Cómo puede ser verdad?“ würde Madonna fragen und hätte damit recht.
Tajogaite
Zwischen dem 19. September 2021 und dem 13. Dezember 2021 brach auf der Westseite von La Palma der Vulkan Tajogaite aus. Das sorgte nicht nur für die Evakuierung von ca. 7000 Menschen, sondern auch für eine kurzfristig stattfindende und deutlich intensivere Flächenversiegelung als die 17 Fußballfelder täglich, die Bayern in Autobahnen, Parkplätze und Einkaufszentren verwandelt. Ich kann mit Fußballfeldern und Fußball im Allgemeinen auch immer nichts anfangen, aber: 17 Fußballfelder sind ca. 0,00005 Saarland (Plural unbekannt). Gerne!
Zu meiner großen Freude kommt man viel näher an den Tajogaite heran, als ich zuvor gedacht hätte – hierzu muss man sich allerdings eine geführte Tour buchen. Es wird akribisch darauf geachtet, dass man die vorgegebenen Wege nicht verlässt, nichts mitnimmt und sich allgemein nicht wie ein Depp verhält. Gut so! Außerdem erfuhren wir aus Sicht einer Einheimischen, wie sich der Alltag vor 3 Jahren so angefühlt hat – eine Mischung aus Flammenhölle im Westteil der Insel und Business as usual im Osten – ziemlich surreal.
Roque de los Muchachos
Die erste Plattitüde direkt vorweg: Der Weg ist das Ziel. Die Straße hoch auf den RdlM ist kurvig, aussichtsreich, und als Beifahrer sollte man nicht zu viel Zeit damit verbringen, aufs Handy zu starren, weil es eh viel zu sehen gibt und man nicht aus dem Fenster reihern muss, weil einem schlecht wird.
Bevor man den Gipfel erreicht, fährt man an einer Vielzahl verschiedener Typen von Teleskopen vorbei, die man teilweise besichtigen kann. Das hier mit den verrückten Spiegeln hat diese super-power:
Dieses hier…
… sieht von innen so aus. Hard to capture – das Ding ist riesig!
Am Gipfel des Roque de los Muchachos auf 2426 Metern, saß ein Thorsten¹.
Thorstens Arme, Beine und vermutlich der Rest seines Körpers waren mit verschiedenen Sternenkonstellationen tätowiert – was ihn offensichtlich zum Astronomie-Nerd machte, und dafür gab’s erstmal Pluspunkte.
Aber
Er quatschte direkt alle an, die nach Alman-Kartoffel-Urlaubern aussahen (so wie ich eben auch), und ich erfuhr schnell die wichtigsten Hard-Facts über ihn, nämlich…
- dass er Insel-Guide ist.
- dass er Besitzer einer großen Finca am dunkelsten, besten und höchsten Platz der Insel ist.
- dass er Kunden aus der ganzen Welt hat, die er über die Insel kutschiert und ihnen die aller-aller-aller-aller-aller-besten Spots zeigt.
- dass auf der Terrasse seiner Finca das Who's Who der internationalen Astronomie-Szene abhängt, schließlich ist die Sicht da die beste. Auf der ganzen Welt.
Aber
Auf meine Nachfrage, warum er denn hier gelandet sei, erläuterte er mir, dass die Migranten das Problem in Deutschland sind und er daher nicht wieder dorthin zurück will. Nun wollte ich eigentlich das Gespräch beenden. Einerseits sehr eindimensional von mir, schließlich war Thorsten auch nur ein besorgter Bürger und war sicher durch Recherchen im Internet, vorbei an den Schlafschafen und Mainstream-Medien, zu seinem Standpunkt gekommen. Andererseits war ich im Urlaub, und wenn ich fremdenfeindliche Deutsche will, muss ich mich nicht extra ins Flugzeug setzen, sondern kann einfach auf die Straße gehen.
Aber
Er hielt mich auf, und so mäandrierte das Gespräch noch ein wenig weiter, und ich erfuhr, dass es auf La Palma nur einen EINZIGEN Migranten gab, der den beschwerlichen Weg von Marokkos Küste auf die Insel überlebt hatte. Der sei super integriert, macht keine Probleme und wirklich ALLE mögen ihn. Ein bisschen wie Roberto Blanco, dachte ich mir.
La Palma hat also – bedingt durch die Lage weiter draußen im Atlantik als die anderen kanarischen Inseln – kein „Migrationsproblem“.
Die meisten überfüllten Boote saufen vorher ab oder landen an anderen Inseln an (das hat er nicht gesagt – aber es ist halt genau das, was passiert).
Thorsten selbst ist übrigens kein Migrant, sondern Gast, wie er selbst sagte. Das lateinische Wort “migro” bedeutet: „Mit seiner Habe usw. nach einem anderen Orte ziehen, um da zu wohnen.“ Hmmm…. wenn ich doch nicht mehr in meine Heimat zurück will und alles mitnehme, dann bin ich doch kein Gast, sondern Migrant? Ach, Korinthenkackerei!
Seit Monaten laboriere ich an Thorsten herum und habe überlegt, ob ich ihn hier überhaupt auftauchen lasse – aber er steht stellvertretend für ein gesellschaftliches Problem, mit dem ich weiterhin keinen richtigen Umgang finden kann.
Aber
Wie lange hört man sich sowas an? Wann beendet man so ein Gespräch? Kann man seine Mitmenschen mit ihren “die-anderen-sind-an-allem-Schuld-Standpunkten” noch irgendwie mit Argumenten abholen? Sehe ich das alles zu schwarz-weiß? Sehe ich durch meine eigene Internet-Bubble-Echo-Chamber nur noch Rassisten-Nazis, wo eigentlich „nur“ Konservative sind? Ist konservativ aber nicht auch eigentlich ein Schimpfwort? War Thorsten irgendwann auch bei den Hippies auf La Gomera und hat nach zu viel Magic-Mushrooms-Hang-Drum-Spielen in die Höhlen am Strand geschissen und dann irgendwann seine Ideale verraten? Ist Gewalt wirklich nur ein stummer Schrei nach Liebe?
Wer einfache Lösungen für diese komplexe Frage hat, darf sie mir gerne in die nicht vorhandenen Kommentare schreiben.
Nach so viel schwer verdaulichem Text erzähle ich das, was man sonst noch so auf der Insel sehen und machen kann, mit ein paar netten Bildern. Keine schlechte Laune mehr, versprochen.
Irgendwo in der Caldera. Es gibt unendlich viele kurze und längere Wanderungen.
In der Caldera de Taburiente haben wir eine Tageswanderung gemacht von der ich fast keine Bilder gemacht habe. Ist aber lohnenswert. Die obligatorische Taxifahrt nach oben, wo es am Ausgangspunkt keine Parkplätze gibt ist höchst abenteuerlich.
Free Outdoor-Shower. Nackig!
Sterne gucken muss man natürlich auch auf La Palma. Hier sehen wir die ISS, die netterweise auch vorbei kam.
Direkt neben diesem Waschbecken wurde ich von einer Touristin gefragt, ob man das Wasser trinken könne. Als ich verneinte und auf das Schild zeigte, ging sie zur Toilette nebenan um dort am Wasserhahn ihre Flasche zu füllen. Das gleiche Schild hing auch dort, nur etwas größer.
Apropos Wasser: Sprudelwasser für die Deutschen, extra markiert im Super Dino.
Das harte Vulkagestein und der Sand sind so scharfkantig, dass sie innerhalb von einer Woche die Sohlen komplett ruiniert hatten.
Im Hafen von Santa Cruz de La Palma lag ein Kreuzfahrtschiff, das alles in gesunden blauen Schweröl-Nebel hüllte. Mystisch!
Am Monumento Natural Tubo Volcánico kann man…
… diese schick beleuchtete Lava-Tube besuchen.
Aber auch hier wird alles durch die Camp David Ordensbrüder überwacht.
Das wars. Heimflug. Doch halt! Aufgrund doch nicht ganz ausgereifter Reiseplanung durften wir nicht direkt zurück nach München, sondern mussten nochmals für einen Tag zurück nach Teneriffa. Aber das ist ja alles schon bekannt.
Zweitbestes Airport-Feature ever: Diese Schachbretter am Gate. (Das erstbeste ist der Pool am Flughafen in Singapur.)
Eine Geschichte habe ich doch noch: Kurz nachdem dieses Spiel beendet war (ein Patt) wurde ich ausgerufen. Also so richtig, mit Lautsprecher! Ich sollte zum Schalter kommen. Das hatte ich noch nie und so war ich vorfreudig aufgeregt. Am Schalter teilte man mir dann mit dass… nun ja, dass etwas in meinem Aufgabegepäck brummen würde. Zum Erstaunen der Mitarbeiterin am Gate musste ich sofort laut lachen – eine der besten Szenen aus Fight Club ist schließlich diese hier.
Am Ende war es nicht mein Rasierer. Auch nicht ein Dildo. Es war nicht mal mein Gepäckstück. Es war Christines elektrische Zahnbürste in ihrer Tasche, an der mein Name klebte.
Na endlich! Hau ab!
¡Adiós!
¹ Keine Ahnung wie der wirklich hieß, aber es war halt ein klassischer Thorsten.
Lyrics: Madonna – La Isla Bonita
ChatGPT ist der Meinung, dass sich die Insel NICHT nach Madonnas Lied benannt hat, dennoch konnte ich schlecht eine andere Überschrift wählen, wenn das Ding wirklich genau wie der Hit aus den 80ern heißt. Und wenn es wirklich so ist – der Tourismusverband hat sich sicher das ein oder andere Loch in den Bauch gefreut, dass viele “Isla-Bonita-Google-Suchanfragen” bei ihnen landen.
An die Roberto Blanco Story habe ich mich aufgrund dieses Liedes erinnernt:
OK KID – Gute Menschen
Und die Hippies mit den Hang Drums, die in die Büsche neben den Höhlen scheißen kommen hier vor:
Frittenbude – Die Dunkelheit darf niemals siegen