Rabbit hole (yeah) Plastic soul (yeah)
Teil 5: KRAPFEN IN BAD WINDSHEIM
An einem gar nicht so kalten Januarabend des Jahres 2010 saß ich im Whirlpool des nur einen Steinwurf von Apples damaligen Hauptsitz entfernten Cupertino Hotels. Mit mir im Pool blubberte ein Kanadier aus der Nähe von Vancouver. Es fiel uns schwer, über die Gründe des jeweiligen Besuchs bei unserem gemeinsamen Arbeitgeber Apple zu sprechen, da wir beide unterschiedliche NDAs unterschrieben hatten. Mann, wie wichtig ich damals war! Bei meinem ging es um eine super langweilige interne Diagnose Software für die Genius Bar. Bei ihm ging es um “that thing they’re gonna introduce tomorrow”.
Natürlich wusste ich, dass es um das iPad ging, aber darüber konnte ich erst am nächsten Abend mit ihm sprechen. Wie sich herausstellte, hatte er an den Animationen gearbeitet, die das iPad zeigt, wenn es gedreht wird. Also keine Raketentechnologie aber deutlich mehr Arbeit, als man erst mal annehmen würde, wie er mir erklärte. Und er hatte, genau wie ich, das Gerät an diesem Tag zum ersten Mal zu Gesicht bekommen. Alle Prototypen, die er zuvor bekommen hatte, waren in Epoxidharz gegossene Monstrositäten, die das finale Design des iPads komplett verschleierten. Apples Geheimhaltungsparanoia gab es damals wie heute.
Obwohl ich zu dieser Zeit bei Apple arbeitete, versuchte ich weiterhin über den technologischen Tellerrand hinauszublicken und zu checken, was die Techgiganten so trieben. Da war Palm, die mit dem Pre ein ziemlich schickes Smartphone gebaut hatten und mit WebOS ein Betriebsystem dazu, welches seiner Zeit weit voraus war. Hat leider niemanden ausser mir weiter interessiert und so läuftWebOS, nachdem es zig mal hin- und her verkauft wurde heute auf LG Fernsehern.
Dann war da noch Nokia, die sich von Microsoft kaufen ließen und eine ok-ishe Windows Mobile Nachfolge auf ihre Telefone installierten, die auch niemanden interessierte. Ich hatte damals (neben dem iPhone) einen gelben Lumia Plastikbrocken dem es vor allem an sinnvollen Apps mangelte. Mit an Bord war die Sprachassistentin Cortana, die äußerst abstruse Beispielsuchanfragen im Tutorial vorschlug. Eine davon war “Krapfen in Bad Windsheim” Warum? Ich tippe auf irgendeine komplett fehlgeschlagene Softwarelokalisierung bei der im Original vielleicht irgendwas von “Donuts in Springfield” stand oder so. Verstanden hat Cortana den eigenen Vorschlag auch nicht und antwortete entweder sehr monoton mit “Ich habe dich leider nicht verstanden” oder mit “Ich kann keine Katzen[sic] in Bad Windsheim finden”.
Die Zukunft der Mensch-Maschine-Interaktion war das noch nicht. Siri und Google waren mindestens genauso doof. Aus einem mir nicht ganz nachvollziehbaren Grund wurde die neugierigste von all den Schnüffelroboter-Tanten in sehr viele Haushalte adoptiert: Alexa. Die stand von nun an überall rum wo ich zu Besuch war und hörte genau hin, wenn jemand den Wetterbericht, einen schlechten Witz oder neues Klopapier brauchte. Heimtückisch wie ich bin habe ich in unbeobachteten Momenten noch irgendwelchen Rotz verbal auf die Amazon-Einkaufsliste gesetzt. Ich bin so ein Anarchist.
Und was macht man sonst noch so mit dem Smartphone? So ziemlich alles. Also natürlich auch Pokémon spielen. In Singapur hab ich Menschen gesehen, die mit 3 Handys in 2 Händen durch die unendlichen Shopping Malls gestolpert sind. Eins für Social Media und 2 andere um Pokémon zu sammeln.
Der klebte in Japan auf vielen Taxis. Ich gehe davon aus, dass er darauf hinweist, dass der Taxifahrer primär Auto fährt und nicht auf Pokémon-Jagd ist. Falls es jemand besser weiss, bitte bescheid geben, danke. どうもありがとうミスターロボットま.
Während die Menschheit mit dem Sammeln von Pokémon beschäftigt war, stellten Google, Facebook, Apple, Microsoft und Amazon fest, dass sie ihrerseits Daten am Besten sammeln konnten, wenn wir möglichst viel und oft in unsere Wischerle¹ schauten. So wurden fleissig allerlei Casino-Mechanismen die Apps gebaut, die unsere Aufmerksamkeitsspanne immer wei
Eichhörnchen! Eichhörnchen!
Nach dem stundenlangen Konsum von Youtube-Videos über die Funktionsweise verschiedener Soundchips in 8,16 und 32 Bit Spielkonsolen (wobei der Atari Jaguar ja eigentlich auch eine 32 Bit und keine 64 Bit Konsole ist!) oder genauen Erklärungen mit Explosionszeichnungen, warum man 1948 einfach die besten Toaster der Welt gebaut hat fällt einem auf, dass man mal wieder im Internet falsch abgebogen ist und in ein Rabbithole gefallen ist. Wenn es gut läuft, lernt man neue Französischvokabeln dabei. Wenn es schlecht läuft, bestätigt man sich zum x-ten Mal, dass Björn Höcke ein Faschist ist. Aber der Toaster ist wirklich geil, watch it!
2017, kurz vor dem ersten großen Hype, habe ich mich dann das erste mal mit Cryptocurrencies beschäftigt und viel über die menschliche Psyche allgemein und meine eigene im speziellen gelernt. Dass das Zocker-Gen stark in mir ist, wusste ich bereits durch eine gewisse Las-Vegas-Slotmachine-Affinität. Die Kombination aus Nerdkram (Proof-of-Stake! Proof-of-Work! Directed acyclic graph! Hodl! HODL!!!), unfassbar konstruierten Anwendungsszenarien und der make-money-fast-Attitüde haben mich einige zweifelhafte Entscheidungen treffen lassen. Warum man mitten in der Nacht plötzlich der Meinung ist, einem windigen chinesischen Projekt names Deep Brain Chain zu glauben, dass sie die Weltformel für künstliche Intelligenz gefunden haben und ihnen dafür bereitwillig (virtuelles) Geld zur Verfügung stellt, ist im Nachhinein sehr verwunderlich. Hindsight is 20/20.
Richtig spannend wird es, wenn sich dann die Verschwörung- Crypto- und Nazibubble während einer weltweiten Pandemie eine gemeinsame, unregulierte Plattform (Telegram) suchen und dort den ganzen unausgegoren Brei, den sie zwischen den Ohren haben, unreflektiert in die Tastatur würgen. Dies und mehr im letzten Teil. Endlich!
¹abfällige, fränkische Bezeichnung für Mobiltelefone mit Touchscreen der Boomer Generation.
Lyrics: Arcade Fire – Age of Anxiety II (Rabbit Hole)
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