We know the Truth but prefer Lies
Teil 6: IHR VERBLEIBENDES DATENVOLUMEN: UNBEGRENZT
Man kann in die verschiedenen Generationsbezeichnungen und den Eigenschaften, die ihnen zugeordnet werden viel hineininterpretieren oder es als Schubladendenken abtun, schließlich verhalten sich Menschen, nur weil sie im gleichen Jahr geboren wurden, selten gleich. Mir war nie so richtig klar, ob ich, geboren im Jahr 1980, nun Teil der Generation X oder der Millenials sein soll. Dann bin ich über einen Begriff gestoßen, der wohl vor ein paar Jahren der heiße Scheiß war, ohne dass ich davon Notiz genommen hatte: Die Xenials, eine “Microgeneration”, die sich je nach Definition in die Jahre 1976/77 bis 1983/85 ausdehnt. Na also, Bullseye!
Wie sich große Teile der deutschen Bevölkerung immer noch das Internet vorstellen.
Merkmal dieser Generation ist, dass sie gerade noch so bewusst eine Welt ohne dauerhafte Vernetzung, ohne Internet, ohne Digitalisierung und ohne Verfügbarkeit des Wissens der Menschheit, immer und überall, erlebt haben. Auf den Begriff wurde ich erst aufmerksam, nachdem ich begonnen hatte meine eigene Internet-Geschichte aufzuschreiben. So wird mir auch jetzt erst klar, warum mir das Thema so am Herzen lag: Ich habe sehr bewusst einen massiven technologischen Wandel miterlebt; ich kenne das Davor und das Danach.
Mein Vater hat mal erzählt, dass es für meine Oma zu Beginn des 20. Jahrhundert wohl wahnsinnig faszinierend war, dass die Gaslampen der Straßenbeleuchtung nach und nach durch elektrische Glühbirnen ersetzt wurden. Etwas, worüber ich mir sonst nie Gedanken gemacht hatte. Licht ist elektrisch, Strom kommt aus der Steckdose. Was denn sonst? So oder so ähnlich dürften die Generationen nach meiner das Internet wahrnehmen. What’s so special about that?
Die meisten Texte dieses Blogs sind schön klischee-mäßig auf einem schicken MacBook Pro in Cafés entstanden. In Busan, Taipeh, Schweinfurt, Berlin, München und an schönen Orten in Italien. Mit dabei habe ich überall meinen tragbaren Access Point, der je nach Region in der ich mich gerade aufhalte eine Daten-SIM enthält. Gerade ist eine von der Telekom drin und wenn ich pass.telekom.de aufrufe steht da:
Ihr verbleibendes Datenvolumen: unbegrenzt
Download-Speed: bis zu Max
Einer der besten Spots, den ich bisher zum Schreiben gefunden habe: Das X in the Sky Observatory.
Der pre-pupertäre Christian, um den es in Teil 1 ging, hätte sich nie vorstellen können derartige technische Möglichkeiten jemals bezahlbar zur Verfügung zu haben. 1992 war das Setup, mit dem ich diese Zeilen schreibe Science Fiction.
Kommen wir nun zu dem, was ich eigentlich seit einem halben Jahr erzählen möchte, ich aber eine 5 Blogposts lange Rechtfertigungs-Vorgeschichte brauchte, um es nicht zum reinen Rant über den Ist-Zustand verkommen zu lassen. Schließlich konnte man mich über die letzten 3 Jahrzehnte immer auf den heissesten Technik-Scheiss ansprechen und ich wusste entweder bescheid, hatte es im Einsatz oder musste es unbedingt haben. Wer mich jetzt kennenlernt hat vermutlich erst mal den Eindruck, dass ich viele technischen Neuerungen ablehne oder ihnen wenigstens kritisch gegenüber stehe. Wie ich dahin kam bzw. dass das in dieser Form eh nicht stimmt – let me elaborate:
Don't feel bad, they found a way inside your head.
Eine Veränderung der Gesellschaft, die mir in den letzten Jahren viel Kopfzerbrechen bereitet hat, ist das Verschwinden von längeren Aufmerksamkeitsspannen. Maßgeblich ausgelöst wurde das durch pervertierte Social Media Mechaniken. Klar, wer nur am Eyeball-aggrigaten/Werbung verkaufen/Daten sammeln/Shareholder-Value improven interessiert ist, hat natürlich wenig Interesse daran, seinem Publikum komplexe Zusammenhänge möglichst neutral zu vermitteln. YouTube Shorts, Instagram Stories, TikToks, hasserfüllte Telegram Channels oder Clickbait-Überschriften – you name it, alles geht nicht in die Tiefe, Hauptsache es erregt kurzfristig irgendein Gefühl und man spürt sich endlich mal wieder! Ob es Hass, Empörung, Mitgefühl, Schadenfreude oder echte Freude ist, ist erst mal wurscht, der heilige Algorithmus sorgt dafür, dass wir erst mal mit leicht verdaulichem Junk-Food gefüttert werden. Hauptsache Dopamin wird ausgeschüttet. Und da man immer weiter abstumpft wird schnell der nächste Hit benötigt. Social Media ist auch nur Kokain. Da gibt es 20 Sekunden Videos, bei denen “Watch until the end!!!” eingeblendet wird, weil alles, was nicht in unter 5 Sekunden kickt, zu lange dauert. All das wird konsumiert ohne es zu verarbeiten. Erwachse haben eine Chance, die Problematik zu erkennen und zu durchbrechen, für Kinder ist das eigentlich unmöglich ohne die Hilfe eines Erziehungsberechtigten.
Lies are simple. Simple is bliss.
Und Diktatoren, Autokraten und die, die es noch werden wollen, freuen sich natürlich ein Loch in den Bauch über unsere Steuerbarkeit kombiniert mit der freiwilligen Preisgabe unserer persönlichsten Daten. Scheiss auf Volksempfänger, Fernseher und Zeitung, das war nur die Kinderstube der Manipulationsmöglichkeiten. Zwischen die ganzen “Hihihi, der Brudi ist von der Leiter gefallen und jetzt tut ihm die Nase weh!”-Videos kann man wunderbar subversiv “alle Ukrainer sind Nazis”, “Uiguren sind doof” untermischen. Oder halt allen anderen Quatsch, von dem man sich erhofft, Menschen gegeneinander aufhetzen zu können. Vor den Snowden Enthüllungen habe ich selbst vieles als übertriebene Verschwörung wahrgenommen und einige Tech-Firmen sogar noch vehement für ihr Verhalten verteidigt. Wer “don’t be evil” als Firmenmotto hat, kann doch wirklich nichts Böses wollen, oder?
Admit defeat. Live in decline.
Diese Sachlage wird aber von vielen nicht als Problem wahrgenommen. Ich habe MitarbeiterInnen von Kindergärten erklärt, dass sie keine Bilder von Kindern über Chats verschicken dürfen. DSGVO und so. Und erst recht nicht über WhatsApp, da dann direkt ein Schattenprofil des Kindes angelegt wird und bereits ohne eigenes Zutun ein Account im Metaverse für das Kind existiert. Aber selbst wenn ich versucht habe das niederschwellig und verständlich zu erklären, hatte ich immer den Eindruck, dass das niemanden interessiert. Der EDVler nervt! Der gesellschaftliche Konsens scheint häufig zu sein, dass man da eh nichts mehr dran ändern kann und man sich daher ausliefern muss. Auf der einen Seite immer in bar bezahlen zu wollen, damit “die-da-oben” nicht jeden Schritt nachvollziehen können, aber dann brav nach dem Bezahlvorgang die Payback-Deutschland-Edeka-Penny-irgendwas-Karte scannen zu lassen um 30 Cent beim Klopapier zu sparen, passt halt leider auch nicht zusammen.
Why would anyone stick out their neck
Und dann ist da natürlich noch meine eigene Inkonsequenz. Denn genauso oft wie ich versuche den mahnenden IT-Onkel-Zeigefinger zu erheben und mich von Facebook, Xing, Twitter, WhatsApp und Amazon abmelde, genauso oft hänge ich selbst in der Instagram oder YouTube Schleife fest. Aus Gründen des Komforts wird diesen Text unter MacOS und nicht unter Linux geschrieben. Apple ist zwar ein paar Glaubwürdigkeitspunkte über Microsoft in meinem internen Ranking, aber wirklich wissen, in welche Richtung meine Daten abgesaugt werden kann ich ohne 100% Open Source Software auch nicht. Und selbst hier gibt es noch Hintertüren, die man nicht verschließen kann.
Am Ende ist es genau wie bei der Bambus-Zahnbürste gegen den Klimawandel: Es bringt nicht viel. Das Problem als solches zu erkennen, sein eigenes Handeln zu reflektieren und kleine Anpassungen zu machen ist ein guter erster Schritt zu einer besseren Welt, die großen Stellschrauben der Veränderung kriegt der Einzelne aber nicht gedreht.
When giving in is so damn comforting
Ich habe meinem Blog ein Zuhause im Fediverse gegeben. Denn zwischen all den Tracking-Cookies, Werbe-IDs und sonstigen Überwachungsmechanismen, die wir uns in den letzten 25 Jahren ausgedacht haben, gibt es auch immer noch viele gute Ideen und Ansätze, wie eben das Fediverse mit ActivityPub als Protokoll. Wir müssten beginnen, sie aktiv zu nutzen und versuchen, sie in eine besser zugängliche Form zu wandeln. Vom Brüllmodem zum Notebook-aufklappen-und-drin-sein hat es eine Batterie von Nerds gebraucht. Ansonsten war ich wenigstens von Anfang an dabei. Halt wie bei Deep Brain Chain!
Und so schreibe ich das BibimBlog auch, um dem Fediverse ein bisschen Leben einzuhauchen. Gelesen wird das außer von Dir (ach ja, danke für Deine lange Aufmerksamkeit, wirklich!) von fast niemandem. But that’s beside the point. The point is, dass mir eine Zukunft, in der wir mit offenen Protokollen und offenen Netzwerken frei miteinander kommunizieren können, deutlich besser gefällt, als ein Metaverse, das einem Konzern gehört, der AI-generierten Hatespeech ungefiltert weiterverbreitet, weil er damit Werbefläche verkaufen kann. Falls das Böse doch siegt, bleibt mir immer noch, mich mit Gleichgesinnten auf die Datenautobahn zu kleben. Um bei der Klima-Analogie zu bleiben.
Abschließend: Das Wissen der Welt in der Hosentasche nutzt nichts, wenn wir nichts davon wissen wollen. Das kleine Wischerle in unserer aller Hosentaschen hat ca. eine Fantastrilliarde bessere Anwendungsmöglichkeiten, als andere Leute zu beschimpfen oder der Troll-Armee hinterher zu laufen. Wir müssen nur einen besseren Umgang damit lernen.
Schriebs und setzte sich mit YouTube aufs Klo.
Juuchuu! Endlich kann ich mich jetzt anderen Themen widmen! Oder ein Buch schreiben. Das wäre doch echt mal was!
Lyrics: NOFX – The Decline
Immer wenn ich von der Welt enttäuscht bin, gönne ich mir, je nach Version, ca. 19 Minuten die gute alte Punk-Rock-Oper The Decline von NOFX und merke, dass ich mit meiner Wahrnehmung der Welt nicht alleine bin. Eine warme, kuschlige Punk-Rock-Wolldecke in die man sich gerne einwickelt. Hier verlinkt in der Orchester-Live-Version. Schau das jetzt an und lies den verdammten Text!
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