Genetic/Narcissistic Rage

Teil 2 – Die Stimme des Windes

Ich erinnere mich noch an den letzten Herbst, als ich zu meiner Tante Berfîn kam.

Sie war still geworden, wie jemand, der lange mit seinem eigenen Schatten gesprochen hat.

Jeden Abend saß sie vor der Lehmwand, die ihr Haus von Zîns trennte,

und ich fragte mich, warum sie dorthin sah, als würde sie auf jemanden warten.

„Şervan,“ sagte sie eines Abends,

„manchmal tötet uns nicht, was andere uns antun,

sondern was wir ihnen nicht verzeihen können.“

Ihre Stimme war brüchig, aber ihre Augen klar.

Ich verstand damals nicht, dass sie damit schon Abschied nahm.

Ein paar Tage später fand ich die alte Metallkiste unter ihrem Bett.

Sie war für Zîn bestimmt.

Ich brachte sie ihr, und ich werde nie vergessen,

wie sie beim Öffnen der Briefe die Luft anhielt —

als hätte jemand den Staub von dreißig Jahren von ihrem Herzen geblasen.

Zîn weinte nicht.

Sie sah hinaus über die Hügel von Botan,

wo der Wind durch die vertrockneten Kräuter strich.

Dann sagte sie nur:

„Deine Tante war reiner als die Rosen, die sie gepflanzt hat.“

Seit jenem Tag wurde das Dorf stiller.

Niemand sprach mehr über die alten Gerüchte.

Wenn der Muezzin rief, klang seine Stimme weiter als sonst —

als wollte sie auch die Toten erreichen.

Ich blieb im Dorf, auch nachdem Berfîn starb.

Ich kümmerte mich um beide Gärten.

Zîns trockene Erde nahm langsam wieder Farbe an,

und eines Morgens sah ich,

wie die ersten Rosen zwischen den Rissen der alten Mauer wuchsen.

Da wusste ich:

Manchmal vergibt nicht der Mensch, sondern die Erde selbst.

Am Grab meiner Tante legte ich eine Handvoll Erde nieder

und flüsterte:

„Berfîn, der Wind hat deine Worte getragen.

Zîn hat sie gehört.

Und ich — ich werde sie weitertragen.“

Der Wind von Botan kam sanft über die Hügel,

und in seinem Klang war kein Hass mehr.

Nur Erinnerung,

und ein stilles Einverständnis,

dass Rache, wenn sie vergeht,

wie Regen über dürre Felder fällt.