Óneiro

Oft sind Träume ein Zufluchtsort, der einem den Schmerz erträglich macht.

Die Querstange am Fußende des alten Metallbetts bildete den schwarzen Horizont vor dem Blau des Himmels. Das Aufwachen war weder ein Aufschrecken noch haftete ihm der bittere Geschmack nächtlicher, im Traum erlebter Freude an, die nun vor dem strahlende Sonnenlicht flohen.
Dominik, setzte sich langsam auf, lehnte sich an die kühlen Stäbe des Metallbettes. Er betrachtete die dünnen Decken, in die er sich des Nachts vergraben hatte. Die Leere des Bettes hinterließ bei ihm keine Sehnsucht und kein Bedauern. Er konnte sich nicht erinnern wann er das letzte Mal einen warmen Körper neben sich gespürt hatte. Sein Blick wanderte langsam zu dem große Fenster, das einem Gemälde auf der rohen Wänden des Steinhauses ähnelte. Die Wände waren mit einer dünnen Kalkschicht bedeckt unter der sich die Steinquader wie Adern und Sehnen seines Hauses abzeichneten. Dominiks Augen wurden vom tiefen wolkenlosen Blau des Himmels gestreichelt und am unteren Ende dieses monochromen Gemäldes, das von Yves Klein stammen hätte können, durchbrachen nur das dunkle Grün der Blätter, eines Olivenbaums, die friedliche Einfachheit des Blaus. Die Geräusch, die seine Ohren vernahmen, bildeten einen wunderbaren Kontrast zu dem Gemälde, das Ihn jeden Tag beim Aufwachen begrüßte.

Das stetige Rauschen der Brandung, die sich tief unten an der Klippe vor seinem Haus Tag und Nacht brachen, bildete den Basso Continuo dieser griechischen Symphonie, gefolgt von den leisen An- und Abschwellen, des Raschelns der Blätter im Olivenbaum. Die Zikaden ergänzten, nur durch kurzen Solii eines Meeresvorgels unterbrochen, die Morgenstimmung. Das genervte Mauzen von Perikles seinem rot-weißen getigerten Kater, der am Fußende des Bettes sein Frühstück einforderte, riss ihn aus seinen Gedanken. “Einer muss an der schönste Stelle immer Husten” dachte Dominik, streichelte Perikles über den Kopf und ging die hölzerne Treppe in das Erdgeschoss, wo er Perikles eine Dose öffnete, frisches Wasser in den Napf gab und Dominik sich frischen schwarzen Kaffee in die Tasse goss. Dann ging er vor das Haus und setzte sich auf die Bank neben der Tür.
Dominik nahm einen Bissen von dem Brot, das mit einer dünnen Schicht Butter und etwas Salz belegt war, aß eine der herrlichen Paradeiser und ein paar Oliven, nahm eine Schluck des schwarzen Kaffees, dann lehnte er sich mit seinem nackten Oberkörper an die warme raue Wand. Dominik hatte ein einfache Leinenhose und simple lederne Schlapfen an. Er schloss die Auge um wenigsten einen Teil des zweiten Satzes seiner Morgen-Symphonie zu erhaschen. Doch seine Gedanke wanderten durch die Zeit.
Vor rund drei Jahren hatte er alles was er besaß verkauft und dem kalten Land in der Mitte des Kontinents den Rücken gekehrt. Das Geld und die wenigen Ersparnisse hatte gereicht, das kleine Haus auf Óneiro zu erstehen. Die Insel in der Ägäis war sehr klein aber hatte zumindest einen Hauptort mit Hafen und eine kleine Ferienanlage, vor allem für Familien gedacht. Der Ort hieß einfach nur Limani und der Bürgermeister dieses 150 Seelen Dorfs hatte nach einem langen E-Mail-Verkehr zugestimmt ihm das Haus auf der Klippe für lächerliche 50.000 Euro zu überlassen. Ausschlaggebende für dies Entscheidung war vielleicht die Antwort auf das letzte E-Mail von Pavlos, dem Bürgermeister gewesen. Pavlos hatte gefragt, warum er genau dieses Haus wolle. Dominiks Antwort war einfach, “Weil ich seit Jahren jeden Abend in diesem Haus einschlafe, in meinen Träumen.” Das nächste Mail von Pavlos enthielt ein paar freundliche Worte und die Adresse eine Notars in Athen, der alles Restliche erledigen würde. Als Dominik in Limani an Land ging hatte er noch 25.000 Euro für den Rest seines Lebens, und die geringen monatlichen Tantiemen aus ein paar Büchern, sowie seine reduzierte Pension. Immerhin hatte er es geschafft drei Jahre früher als vom Staat vorgesehen seine Traum zu erfüllen. Er ließ nicht viel zurück, sein Bruder war nach Jahren der Stürme und der Verzweiflung endlich angekommen und lebte glücklich mit seiner Frau zusammen
und ebenso seine besten Freunde hatten sich mit Ihm gefreut, man chattet regelmäßig, aber die versprochen Besuche hatten sich in den letzten Jahren dann doch nie ergeben.

Dominik war glücklich, so glücklich wie er es nur in wenigen Minuten seines alten Lebens vor Óneiro war. Er hatte das alte Haus, das von einer niedrigen Steinmauer eingerahmt wurde und keine 15 Meter von der Steilklippe weg stand, wieder bewohnbar gemacht. Vor dem Haus neben dem alten Olivenbaum war eine Tisch eine Bank an der Hausmauer und ein paar einfache Schemel. Von dort, wo er jetzt auf der Bank saß, sah er die Spitze der Felsnadel im Meer, die rund einen halben Kilometer vor der Steilküste im Meer aufragte. Und da war noch der Horizont der Ägäis. Blau, still und wissend, voll von der Essenz allen dessen, was ein Leben glücklich macht.
Perikles, der bisher neben Dominik auf der Bank in der Morgensonne gelegen war, erhob sich und ging auf seine eigen Odyssee, die Ihn verlässlich jeden Abend wieder an den Futternapf zurück führte. Dominik nahm das Geschirr und brachte es in die kleine Küche. Das Haus bestand aus dem Erdgeschoß und dem ersten Stock. Es war aus festem Stein und mit einem festen Dach gebaut, da es an dieser Klippe auch immer wieder heftige Stürme gab. Es hatte nur Fenster, welche alle Richtung Meer führten und diese konnte man mit Brettern und Balken absichern. Das Erdgeschoss bestand aus einer kleine Küchenecke, einer Essecke, einem offenen Badezimmerbereich im hinteren Teil des Raum in einem Erker gelegen und der breiten alten Holztreppe die nach oben führten. Im oberen Bereich stand das alte schmiedeeiserne Bett, mit dem Fußende zum einzigen großen Fenster dort, das genau auf das Meer hinaus blickte. An der Wand, gegenüber der Treppe, war eine Bücherregal, ein kleiner Schreibtisch und eine bequemer Liegestuhl. Im hinteren Bereich des Zimmers, in dem Erker, den es auch hier im oberen Stock gab, waren zwei Kästen in welchen das Gewand und die wenigen sonstigen Dinge Dominiks waren.
Es hatte einige Monate gedauert, bis Dominik das Haus soweit eingerichtet hatte, das er zufrieden war. Pavlos, der Bürgermeister hatte ihm mit seine schlechten Englischkenntnisse immer wieder den Dolmetsch zwischen ihm und den griechischen Lieferanten gespielt, aber als er bemerkte das Dominik versuchte mehr und mehr griechische Sätze zu verwenden, hatte er ihm vorgeschlagen doch mit Frau Filenada zu sprechen. Theo, wie Dominik sie bald nenne durfte war eine Lehrerin, welche die Grundschulkinder auf Óneiro unterrichtet. Sie brachte Dominik Griechisch bei und als sie bemerkte, dass er eine große Liebe für Mathematik und Physik hatte, bat sie Ihn eine Förderklasse in diesen Gegenständen für die wenigen Schüler der Insel zu unterstützen.

Im Sommer des zweiten Jahres war Dominik ein Teil von Limani geworden. Pavlos und seine Frau luden ihn immer wieder zum Essen ein, er wurde freundlich von den Bewohnern begrüßt, wenn er ins Café am Hafen kam und selbst wenn sie ihn “Ekkentrikós” nannten, so plauderten sie gern mit Ihm und manchmal spielte der eine oder andere sogar Tavli mit ihm.
Im letzten Sommer hatte er mit einer neuen Idee Erfolg gehabt. Alexandros der Eigentümer der kleinen Familien-Ferienanlag klagte, dass immer weniger Gäste kämen und jene welche kamen waren alle genervt, weil die Kinder oft auch in den Ferien lernen musste. Dominik schlug vor Lernbetreuung für Mathematik und Physik den Eltern anzubieten und prompt kamen fast doppelte so viele Familien wie im Vorjahr. Obwohl die Jugendlichen vorerst nicht begeistert waren, gestaltet Dominik den Unterricht so lebendig, dass eine Handvoll Kinder in diesem Sommer eine neue Sicht auf die viel gehassten Fächer bekamen. Zwei Eltern schrieben sogar E-Mails in welche sie sich herzlich bedankten das Ihrer Sprösslinge dieses Jahr die Nachprüfung gemeistert hatten.
Dominik, stellte das Geschirr zurück in die Regal über dem Herd und dann nahm er seinen Hut und sein Umhängetasche und machte sich auf den Weg ins Dorf. er brauchte etwas Katzenfutter und er
wollte auch bei Sifnios dem Weinhändler am Hafen, etwas Retsina mitnehmen. Die lange gewunden Straße führte ihn vorbei an kargen kleine Olivenhainen und Gemüsegärten. Er grüßte die Leute denen er begegnet und unterhielt sich mit dem einen oder anderen auf Griechisch. Die Mutter von Pavlos, die in dem kleinen Garten vor dem Dorf stand und Ihrer Zwiebel und Paradeiser pflegte war besonders herzlich. Sie war der Meinung, dass Pavlos in Dominik eine Art älteren Bruder sah, welche die Stelle seine echten Bruders einnahm, der vor vielen Jahren im Streit die Insel verlassen hatte und ans Festland gegangen war. Er hatte den Kontakt zur Familie ganz abgebrochen. Sie schenkte Dominik zwei frische Zwiebel und drei wunderschöne große reife Paradeiser. Dominik lachte und sagte, “Jetzt muss ich Feta und Gurken auch noch auftreiben.“

Die Treppe, des kleine Geschäfts, das am Hafen lag führte über ein paar Stufen nach unten und als Dominik in den kühlen Raum eintrat, in welchen Wein, Liköre und Andenken gestapelt waren, sah er nur Helena Sifnios die Frau des Besitzers im Laden, Dominik seufzte. Helena kümmerte sich, obwohl sie verheiratet war, immer besonders um männliche Kunden. Dominik sah gerade noch, wie sie sich eine Knopf mehr ihrer Bluse öffnete und dann mit einem zuckersüßen Lächeln fragte, “Ach mein schöner Mann, was darf ich für euch tun”. Dominik war Ihre Art aus vielen Gründen unangenehm, erstens war sie die Frau eines der Bewohner dieser Insel und es wäre wohl das dümmste gewesen eine der Ihren Hörner aufzusetzen. Zweitens hatte Dominik mit Frauen abgeschlossen. Er hatte zuletzt, die Frauen, mit der er wieder einmal viel zu langen zusammen war um etwas zu erreichen was nicht möglich war, dann doch verlassen. Alle die anderen, teilweise wunderbaren Frauen, die er auf meist tragischen oder einfach nur dumme Weise verloren hatte, waren nur mehr schöne Erinnerungen, weggesperrt in kleine Holzschatullen verzierte mit der verklärenden Patina der Vergangenheit. Er öffnete Kästchen nicht mehr, da es ihm genügte, dass sie da waren. Dominik ging in den hintersten Bereich des Geschäfts wo die Waren für die Einheimischen lagerten, nahm zwei große Flaschen Retsina, legte das Geld auf das Pult und sagte “Danke es stimmt so und Grüße an Thomas deinen Mann.” Dann ließ er die schmollende Helena stehen.
Perikles kam heute früher zurück und bettelt um sein Futter, gerade als Dominik die Zwiebel, Gurken und Paradeiser mit den frischen Kräutern und dem Feta vermischte. Als Dominik vor das Haus trat und auf den Horizont schaute sah er die dunklen Wolken, die ein Unwetter ankündigen. Ein Sommergewitter zog vom Meer Richtung Insel und Dominik beeilte sich die Fenster abzudichten. Perikles trollte sich ganz gegen seine Gewohnheit nach dem Essen sofort auf seine Schlafplatz im oberen Stock. Dominik stellte eine Petroleumlampe auf den Tisch und zündet noch ein Paar Kerzen an, der Strom den er aus der kleinen Windkraftanlage im Ort bezog könnte heute ausbleiben. Er richtete den Salat an und wollte die Flasche Retsina aufmachen als sein Telefon läutet, “Pavlos” stand auf dem Display. Dominik hob mit einem seltsamen Gefühl der Anspannung ab, denn was wollte Pavlos um dies Zeit von Ihm? Pavlos war aufgeregt, aber noch mehr Neugierig, “Eine Frau kommt zu Dir?” “Wie eine Frau, welche Frau”, fragte Dominik. Pavlos fuhr unbeirrt fort, “Sie ist mit der letzten Fähre vorher angekommen, sehr schön und sehr geheimnisvoll. Sie hat Alexandros, der sie eigentlich abgeholt hatte, um sie zur Ferienanlage zu bringen, gebeten sie sofort hinauf zu deinem Haus zu führen. Sie müssen gleich da sein und du musst mir alles erzählen morgen.” Dominik konnte sich das spitzbübische Grinsen von Pavlos vorstellen, als er den Motor des Wagens von Alexandros hörte und auflegte.

Dominik hatte noch immer die Weinflasche in der Hand als er vor die Tür trat und gerad sah wie Alexandros die zwei Koffer neben seine Gartentür stellte und den Lohn für die Fahrt von der Frau entgegennahm. Die ersten Regentropfen fielen gerade und die Frau hatte einen Schirm aufgespannt, sodass er Ihr Gesicht nicht gleich erkennen konnte. Sie trat auf Ihn zu. Lächelte Ihn und und sagte: „Kalispera.“ ...

H.F.Gerl. 2019