Wahrheit tut weh ...

Dreimal kurz, eine Pause und ein Faustschlag fest und fordernd, klopfte es an der Türe. Der Chemiker, der in der Szene den Spitznamen der „Alchemist“ trug erhob sich langsam von seinem fleckigen Sofa. Er schlurfte in seinen abgetragenen Air-Jordan zu Tür der alten Werkstatthalle. Normalerweise hätte er den Vorhang, der den Teil mit dem Labor abgeschirmte, hastig zugezogen und er wäre nervös gewesen. Doch das Klopfzeichen war eindeutig, wenn auch ungewöhnlich für diese Uhrzeit. Es war kurz vor 2 Uhr morgens. Er öffnete die drei simplen mechanischen Schlösser und entriegelte den elektronischen Verschluss mit seinem persönlichen Code.

Der Türgriff pulsierte vor seine Augen langsam und die Farbe der Türe wechselte von schmutzig Weiß auf Gelb und dann auf Grün. Das waren die einzigen auffälligen Wirkungen, die der Alchimist von seiner neune Droge, die er, vorerst nur Elixier nannte, bemerkte. Er war sehr enttäuscht, denn die Wahrnehmung verändert, das hatte im vorigen Jahrtausend bereits simples LSD bewirkt. Er fokussiert erneut den Türgriff, und als er für einen Augenblick still stand, drückte er ihn nach unten und öffnete die alte schwere Stahltüre. 

Der Schlag mit der Faust gegen die Türe, die aufschwang, traf ihn fast im Gesicht. Die Besucherin bremste ihre Hand, die in gepolsterten Lederhandschuhen steckten, die mit scharfen Metallnieten versehen waren, rechtzeitig ab.

„Na, haben wir wieder am eigenen Zeug genascht“, blaffte Sie den Alchemisten an und schob sich ohne einen weiteren Gruß an dem ihm vorbei. Die Besucherin, die Ihre blonden Haare mit einem geblümten Haarband zusammengebunden hatte. Stand da und wartete bis der Alchemist, die Tür wieder verschlossen hatte. Sie war etwa 1,70 und damit einen Kopf kleiner als der schlaksige Chemiker. Lady M., wie sie sich gerne nannte, war fast eine liebliche Erscheinung, zart, blonde lange Haare und herzige Gesichtszüge, wenn man jedoch genauer hinsah, erkannte man die irritierenden und widersprüchlichen Details. Sie trug nietenbesetzen Lederhandschuhe, einen langen Ledermantel und alte fleckige Jeans sowie schwere Doc-Martens, mit Stahlkappen und ebenfalls Nieten. Selbst ein zarter Tritt gegen das Schienbein schälte wohl die Hälfte, der dort befindlichen Haut ab. Am Halsansatz erkannte man Tattoos, die sich wohl über Ihren ganzen Oberkörper zogen. Man sah nicht genau welche Tätowierungen, und der Alchimist kannte niemand, der die Hautbemalung je zur Gänze gesehen hatte.

Lady M. sah sich prüfend in dem Loft um, ob sie alleine waren. Danach fixierten ihre Augen den Alchemisten, der im Schein einer flackernden Neonröhre stand. Der schlaksige Kerl wurde sofort nervös, den das am meisten beunruhigende an der Erscheinung waren die Augen. Sie hatte ein strahlend blaues und ein milchig, Trübes, über dessen Lied sich eine hässliche Narbe zog. Das blaue Auge blickt kalt und gefühllos auf ihn und er empfand ihren Blick, als ob er sich in sein Gehirn bohrte. „Was war mit der letzten Lieferung“, sagte Sie und fixierte den Chemiker weiter unbeweglich.

Der Alchimist wusste, was Sie meinte. Nervös stieg er von einem Fuß auf den anderen und versuchte den Blick von Ihr abzuwenden. Bei der letzten Lieferung hatte sein Auftraggeber ihn unter Zeitdruck gesetzt. Er war mit der Herstellung der Substanz nicht vorangekommen, vor allem weil er seine steigend Nervosität und seine Angst durch eines seiner Elixiere betäuben wollte und wieder einmal zu viel erwischt hatte. Er war erst zwölf Stunden später klar im Kopf und erkannte, dass er den Auftrag nicht wie gewünscht abliefern konnte, außer ... Ja, außer er würde die bereits gefertigte Menge strecken. Er mischte das Pulver mit Milchzucker und als es noch immer rund ¼ der bestellten Lieferung fehlte, gab er noch mehr davon hinzu.

Die schmächtige Besucherin trat einen Schritt auf ihn zu und fragte nochmals, „Was war in dem Zeug, dass du geliefert hast“, dabei ballte sie ihre Fäuste und spannte ihre Muskeln. Sie war das Abbild eines Raubtiers, dass sich auf einen Angriff vorbereitete, „Du hast keine Ahnung, was für Probleme du verursacht hast. Der Boss wollte sich gegenüber dem russischen Geschäftspartner positionieren und hat ihnen 5 Kilogramm eines hochreinen Stoffs bester Qualität versprochen. Du weißt selber, das der Stoff gestreckt war. Und die Russen wissen es jetzt auch, und glauben dass wir schwach und Lügner sind. Und man will nicht, dass einen die Russen für schwache Lügner halten, das ist ungesund. Für das Geschäft und für einen selber.“

Der Alchimist hätte sich normalerweise verteidigt, hätte gebettelt, dass man ihn verschont und halt mit einigen Zähnen weniger und einige Tage mit großen blauen Flecken rumgelaufen. Aber er starrte nur auf die Leuchtschrift, des Fast Food-Ladens. Die Neonröhren erkannte er durch das Fenster am anderen Ende der Loft gut. Sie flackert und blinzelte. Plötzlich veränderte sich das Gelb der Schrift zu Orange, zu Grün und schlussendlich pulsierte die Leuchtzeichen in allen Farben des Regenbogens. Gleichzeitig fiel jede Angst von ihm ab und er konnte und wollte sich nicht mehr verstecken und lügen.

„Ihr Idioten habt es selbst verschuldet. Dein kleinschwänziger Boss ist zu blöd um sich von den Russen fern zu halten und zu feigen mit ihnen zu kämpfen und das soll nun ein armes Schwein wie ich ausbaden.“, sagte er mit ruhiger Stimme und konnte nicht glauben, dass diese Worte aus seinem Mund kamen. Der erste Schlag traf ihn geradewegs auf die Stelle knapp unter dem Adamsapfel. Ihm blieb die Luft weg und, obwohl er mit einem Angriff gerechnet hatte, fiel er auf seinen Hintern. Lady M. stand vor ihm und schaute ungläubig auf den Alchimisten, der vor Ihr am Boden saß. „Ich glaub ich habe nicht recht gehört,“ sagt sie mit eisiger Stimme, gefolgt von einem Tritt gegen seine Seite. Der Schmerz fuhr ihm wie einem Eispickel ins Gehirn, aber trotzdem starrte er der Schlägerin, die über ihm stand, in die Augen. Obwohl er wusste, dass er besser den Mund hielt, öffneten sich seine Lippen und er sagte: „Schlecht hören tust du auch noch. Ich weiß ja das deine Psyche sehr beschädigt ist, aber dafür kannst du nichts, mit diesen Eltern kann wohl nichts Gescheites aus einem werden. Obwohl du ganz nett aussiehst auf den ersten Blick, aber ich kennen keinen Mann oder Frau die nicht lieber in einen laufenden Fleischwolf greifen würde, bevor sie Dir ein Kompliment machen. Da wundert es keinen, dass Du so psychopathisch bist. Aber wenn es Dich beruhigt, Du bist wirklich gut in dem was Du tust – Leute erschrecken und Deinem Boss wie ein Bullterrier hinterherlaufen und auf ein ‚Fass‘ warten.“

Der nächste Tritt, mit den nietenbesetzten Schuhen, brach dem Alchemisten eine Rippe. Er sah das wutverzerrte Gesicht der Lady M. und war fasziniert von dem Farbenspiel, welche er auf ihrem blinden Auge sah – milchig, gelb, rot, dann wieder ein pulsierender Regenbogen. Drei heftige Faustschläge in sein Gesicht folgten. Einer brach ihm die Nase, und sein Jochbein platzte auf. Er musste auf das herrliche Farbspiel, das die Überdosis der Droge in seinem Kreislauf verursachte, verzichten. Die Schmerzen vernebelten seinen Geist und das Blut, das ihm über das Gesicht lief nahm ihm die Sicht.

Als sie endlich von ihm abließ, gab es keine Stelle an seinem Körper, die sie nicht bearbeitet hatte. Lady M. wischte notdürftig das Blut von Ihren Handschuhen an dem fleckigen T-Shirt des Alchimisten ab. Der Chemiker nahm durch seine verschwollenen Augen wahr, dass sie zur Tür ging und das Loft verließ. Zwei Dinge habe ich gelernt, dacht er auf dem kalten Boden liegend: „Das M. in ihrem Namen steht wahrscheinlich für Monster und mein Elixier ist ein Fehlschlag. Weil, wer will schon ein Wahrheitselixier. Wahrheit tut immer weh.“

H.F.Gerl 2022