Wie Effizienz uns wurde

Manchmal übernimmt ein Gedanke das Kommando,
ohne dass wir merken, dass er es war.

Er verändert unsere Sprache.
Unsere Zeitwahrnehmung.
Unsere Erwartungen an uns selbst.

Und irgendwann glauben wir:
So war das immer.

Effizienz ist so ein Gedanke.

Aber sie war nicht immer da.

Sie hat sich eingeschlichen.
Still.
Wie ein leiser Takt.
In unser Denken.
In unsere Kalender.
In unsere inneren Dialoge.


I. Die Zeit wird Takt

Vielleicht beginnt alles in den Fabriken.
18. Jahrhundert.
Mechanisierung. Maschinentakt. Menschen als Teil der Bewegung.

Was vorher Fluss war, wird Taktung.
Zeit wird zerteilt.
Arbeit vermessen.

Frederick Taylor nennt das „Scientific Management“.
Der Mensch in Einzelteile zerlegt.
Jeder Griff gestoppt.
Jede Geste bewertet.
Jeder Ablauf verdichtet.

Ziel: keine Reibung. Kein Zögern. Keine Frage.
Nur Funktion.

Es ist der Beginn eines Denkens,
das das Leben als Ablauf begreift –
und den Ablauf als Kurve.


II. Von der Fabrik in die Führung

Was bei Maschinen begann,
wandert in die Köpfe.

Peter Drucker. Management by Objectives.
Ziele definieren. Ergebnisse messen. Rückkopplung anpassen.

Der Mensch wird zur Ressource.
Nicht mehr fragend, sondern zählend.
Nicht mehr fühlend, sondern formulierend.

Effizienz ist keine Methode mehr.
Sondern ein Maßstab.
Ein Blickwinkel.
Ein innerer Richter.


III. Das Unsichtbare der Gegenwart

Heute ist Effizienz überall.
Und doch kaum greifbar.

Sie hängt nicht an Werbeplakaten.
Aber sie spricht durch Tools,
durch Meetings,
durch Bewerbungen.

Sie flüstert in Lebensläufen,
in Deadlines,
in der Sprache der Erreichbaren.

„Ich bin belastbar.“
„Ich arbeite lösungsorientiert.“
„Ich funktioniere auch unter Druck.“

Was klingt wie Stärke,
ist oft Selbstverkürzung.
Ein Ich im Dienst der Glätte.


IV. Die Sprache der Optimierten

Effizienz hat ihre eigene Sprache.
Sie klingt pragmatisch.
Aber sie ist ein Schnitt.

– „kurz schnell“
– „zeitnah erledigen“
– „einfach durchziehen“
– „skalierbar denken“
– „reduzieren, was nicht performt“

Sätze wie Werkzeuge.
Schneidend.
Zielgerichtet.
Beziehungsfern.

Sie machen Systeme stromlinienförmig.
Menschen verfügbar.
Räume schmal.


V. Rückfrage

Wie viel Kontrolle brauchen wir,
um effizient zu sein?

Und was geben wir dafür her?

Intuition?
Umwege?
Zweifel?
Langsamkeit?
Anwesenheit?

Vielleicht ist Effizienz kein Ziel –
sondern ein Reflex.
Ein Schutz vor dem,
was sich nicht planen lässt.

Vor Chaos.
Vor Verlust.
Vor lebendiger Unschärfe.


Vielleicht war Effizienz nie böse.
Nur verführerisch.

Weil sie verspricht,
was das Leben nicht halten kann:
Planbarkeit. Ergebnis. Sicherheit.

Aber was,
wenn das Leben nicht effizient gedacht werden will?
Was,
wenn der Umweg
das Eigentliche ist?


Vielleicht beginnt Resilienz nicht mit Stärke,
sondern mit Erinnerung.

Daran,
dass Effizienz eine Entscheidung ist.
Keine Naturgewalt.

Und dass wir neu gewichten dürfen.
Nicht schneller,
sondern näher.

Nicht günstiger,
sondern aufrichtiger.

Nicht besser,
sondern lebbarer.


Dieser Text spricht nicht zurück.
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