Arne Dahl, Null gleich eins, München, 2022
Cover von “Null gleich eins” bearbeitet mit https://simplify.thatsh.it/, 2024
Und wieder einer dieser unerwartet unterhaltsamen Krimis, die sich seicht und unauffällig in die Lücken schleichen, die heiße Sommertage manchmal so mit sich bringen. Es war mein erster Arne Dahl Krimi und ich muss gestehen, dass es mir am Anfang dann doch etwas gewollt vorkam, wie Dahl seine Plots entwickelt. Die kurzen Flashbacks verschiedener Erzählstimmen, die von längst vergangenen Ereignissen berichten. Poetisch? Na ja! Unheimlich? Nicht wirklich! Andeutungsschwanger? Schon eher! ich war kurz davor das Buch wegzulegen und dann geschah etwas. Die Summe der einzelnen Fragmente ergab ein erstes Bild. Spekulationen brachen los und mit ihr die Neugierde, was wohl wirklich hinter dem bisher gelesenen steckt. Ich nehme an, dass man das in Literaturseminaren lernen kann, aber es klappte dann doch so gut, dass ich den verdacht nicht los wurde, dass da jemand seine Job nicht nur versteht, sondern auch gut darin ist.
Die Erzähler:innenperspektiven wechseln ständig und mit jeder neuen Perspektive ist man mehr “drinnen” und kommt auch so schnell nicht wieder raus. Die Personen entwickelt Dahl offenkundig mit einem großen Maß an Erfahrung. Die Hauptheldin der Geschichte ist eine Kommissarin, die nach langer verletzungsbedingter Abwesenheit wieder zu arbeiten beginnt. Man erfährt schnell, dass ihr als Opfer eines Verbrechens beide Beine zunächst amputiert und später wieder angenäht wurden. Die Grenzen des medizinisch Möglichen werden hier bereits zu Beginn als Erzählmotiv eingeführt und bekommen später im letzten Drittel des Buches eine erstaunliche Wendung. Mit starken Schmerzen in den Beinen und immer noch mit dem Trauma kämpfend versucht sie sich zunächst als Polizistin zu beweisen und entdeckt eine bisher von der Polizei übersehene Parallele zwischen drei Mordfällen. Sie sieht einen Serienmörder am Werk und beginnt eigenmächtig mit den Ermittlungen. Ihre Ermittlungen werden jedoch von ihrem verhassten Vorgesetzten ausgebremst und später wird sie sogar deswegen vom Dienst suspendiert. Zu dem Zeitpunkt hatte sie aber bereits ihren ehemaligen Chef und aktuell als mittel-erfolgreichen Privatermittler und dessen Kollegin und Ex-Geliebte hinzugezogen. Erzählerisch gelingt es Dahl diese beiden neuen Erzählperspektive geschickt in den Strang der Geschichte einzuweben. Die Kommissarin bleibt immer präsent, auch als die Ermittlungen von den beiden Privatermittler:innen vorangetrieben wird. Als Gegenspieler ist die Perspektive des Serienmörders ebenfalls immer präsent und wiegt die Leser:innen in der Position der Wissenden, die immer einen kurzen Vorsprung vor den Ermittler:innen haben.
Ohne den Plot nacherzählen zu wollen, nur soviel. In dem Kriminalroman, geht es um Traumata und deren Bewältigung, um Liebe in allen möglichen Varianten, um die Lust auf Rache und ihre Abgründe, um Boshaftigkeit und ihre Verwandtschaft zum Genialischen, und letztlich um die Wandelbarkeit von Menschen, die sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise von den Schrecken ihrer Vergangenheit befreien.
— Frank-Thorsten Moll, 2024 —