hier schreibe ich über meine Leseerfahrungen – irgendwo zwischen Kunst, Soziologie, Philosophie, Politik und Trivialem

Benjamin Meyers, OFFENE SEE, Köln, 2019

Cover von “OFFENE SEE” bearbeitet mit https://simplify.thatsh.it/, 2023

Dieser Roman kam sehr unverhofft auf meinen Nachttisch. Ein Geschenk zu Weihnachten von einem lieben Menschen, sodass ich einfach mal los gelesen habe, allzeit bereit, das Buch wieder wegzulegen und auf den Stapel der Bücher zu legen, die ich irgendwann mal fertig lesen möchte. Aber dann habe ich das Buch einfach nicht mehr weggelegt. Die Geschichte ist schnell erzählt. Ein Junge aus einer Bergarbeiterstadt im Süden Englands geht auf Wanderschaft, trifft eine ältere Dame aus der Oberschicht und lernt von ihr alles, um seine proletarischen Fesseln abzustreifen, studieren zu gehen und Schriftsteller zu werden. Doch ganz so einfach ist die Geschichte dann doch nicht. Coming of age, rite de passage, Adoleszenzroman trifft es einfach nicht, denn es geht um mehr. Der Roman kreist um die unbändige Kraft der Poesie, an die zunächst weder der Held der Geschichte noch der Leser (also in dem Fall ich selbst) so richtig glauben mochte, Krieg und Nationalismus, Klassenkampf, Freundschaft zwischen einem jungen Mann und einer älteren Frau, Feminismus und Selbstbestimmtheit. Ein Füllhorn an schönen Geschichten breitet Benjamin Meyers aus in diesem Buch, das zudem sprachlich elegante Beobachtungen von Natur und Gesellschaft in großer Zahl bereithält. Einziger Wermutstropfen. Die Verwendung von Fremdwörtern lässt auf eine allzu kompensatorische Sprechhaltung schliessen und nervt stilistisch an ganz wenigen Stellen. Aber selbst das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um ein richtig gutes Buch handelt.