Hartmut Rosa, UNVERFÜGBARKEIT, Frankfurt am Main, 2018
Cover von “Unverfügbarkeit” bearbeitet mit https://simplify.thatsh.it/, 2022
Hartmut Rosa ist seit seinem Buch „Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung“ (2016) einer der produktivsten Stichwortgeber im aktuellen Diskurs geworden. Sein Steckenpferd ist, grob gesagt, die Entfremdungstheorie, nach Marx und Weber und die Frage nach dem Stellenwert der Arbeit in unseren spätmodernen Gesellschaften.
Wer sich mit Rosa näher beschäftigen will dem sei sein 2018 bei Suhrkamp erschienenes Buch “Unverfügbarkeit” empfohlen, da es in aller Kürze einen guten Einstieg in seine Gedankenwelt bietet. Auf gerade einmal 131 Seiten entfaltet er eine großzügige Relektüre seiner eigenen Thesen und blickt vor allem auf seinen Resonanzbegriff zurück, den er auf unsere gegenwärtige Welterfahrung anwendet. Man könnte “Unverfügbarkeit” daher als einen Zweitaufguss verstehen, denn Rosa fasst seine Theorie der Resonanz immer wieder in kleinen Exkursen zusammen, aber zum Glück geht er auch darüber hinaus, sodass ich dieses Buch eher als eine Revision nach zwei Jahren beschreiben würde.
Das Buch beginnt mit einer klassischen Szene, die die These des Buches anschaulich, ggf. vielleicht zu anschaulich macht – ein Kind wird beschrieben, das versucht dem ersten Schnee durch beherztes Zugreifen habhaft zu werden. Die Schneeflocken zerrinnen in der Kinderhand und dieser Versuch der Weltaneignung ist gescheitert zu bezeichnen. So sei es mit allen unseren Versuchen, dem modernen Paradigma der Weltaneignung (Inbesitznahme) Folge zu leisten. Die Welt entzieht sich – sie ist unverfügbar.
Ein Schlüsselsatz Rosas, in dem er die von der Entfremdung ausgelösten „beziehungslose Beziehung“ der Menschen zur Welt beschreibt, lautet:
“Nach meiner Lesart besteht die Kulturleistung der Moderne gerade darin, dass sie die menschliche Fähigkeit, Welt auf Distanz und in manipulative Reichweite zu bringen, nahezu perfektioniert hat.” (Hartmut Rosa, UNVERFÜGBARKEIT, Frankfurt am Main, 2018, S.37)
Der Autor bringt darin seine Überzeugung zum Ausdruck, dass die Moderne nur so weit kommen konnte, weil sie auf der oben zitierten Fähigkeit basiert, Distanz und Nähe selbst justieren zu können. Der Art, wie die Moderne dies regelte, war immer ein Aggressionsmodus eingeschrieben, der sich heute als Filter zwischen alle Weltbeziehungen schiebt. Das ist laut Rosa ein Fehler, denn jede Weltbeziehung ist auch ein Resonanzverhältnis. Die Fähigkeit zur Resonanz, die Essenz – wie er sagt – des menschlichen Daseins.
Rosa skizziert ein Dilemma, denn wie, so fragt er, kann er die Resonanzfähigkeit begründete Weltbeziehung, die im Widerspruch zum Aggressionsmodus der Moderne steht, genauer bestimmen?
Für Roas ist Resonanz ein Bezieungsmodus, der durch vier definierbare Merkmale bestimmt werden kann. Das Moment der Berührung, das Moment der Selbstwirksamkeit, das Moment der Anverwandlung und das Moment der Unverfügbarkeit. Resonanz selbst ist ein Moment, der Unverfügbarkeit, denn sobald sie eintritt, verwandeln wir uns und wir können nicht vorhersehen, in welche Richtung diese Verwandlung uns verändert.
“Die transformierenden Effekte einer Resonanzbeziehung entziehen sich stets und unvermeidlich der Kontrolle der Planung der Subjekte, sie lassen sich weder berechnen noch beherrschen…” (Hartmut Rosa, UNVERFÜGBARKEIT, Frankfurt am Main, 2018, S.44)
Diese Ergebnisoffenheit entzieht sie jeder Logik und ist daher für Rosas Kritik der Verfügbarkeit so wichtig. Resonanz ist unspeicherbar, unplanbar, untrainierbar und jeder Versuch sie zu kultivieren oder gar zu erzwingen endet im Verlust. Wir können nicht einmal um sie kämpfen, denn jede Kampfbeziehung bedingt den Abschluss, eine “resonanzdämpfende Schließung“.
Das eigentliche Projekt Rosas ist jedoch “durch das geduldige Herausarbeiten der Spannungslinien zwischen Resonanzbegehren und Verfügbarkeitsverlangen Ideen dafür zu gewinnen, wie sich jener Widerspruch dereinst vielleicht überwinden oder lösen lässt”.
— Frank-Thorsten Moll, 2024 —