hier schreibe ich über meine Leseerfahrungen – irgendwo zwischen Kunst, Soziologie, Philosophie, Politik und Trivialem

Jörg Fauser, MANN UND MAUS, Erzählungen, München, 1982

Cover von “Mann und Maus” bearbeitet mit https://simplify.thatsh.it/, 2024

Jörg Fauser starb so, wie viele seiner Charaktere in seinen unzähligen Büchern, Romanen und Erzählungen. Er wurde am 17. Juni 1987 nach seiner eigenen Geburtstagsfeier von einem LKW erfasst und starb noch in der Unglücksnacht an den Folgen des Unfalls. Unglücklicher Tod? Selbstmord? Mord? Alle Optionen waren denkbar. Heute – 38 Jahre nach seinem Tod – gilt er vielen als unterschätzte literarische Stimme seiner Generation. Diejenigen, die ihn bis heute nur als Autor von Kriminalromanen kennen, folgen der Einschätzung vieler Zeitgenossen, die Fauser seine Anerkennung zu Lebzeiten verwehrten und ihn auf das augenfälligste Detail seines Schreibens verkürzten. Die Faszination an der Halbwelt in den düsteren Ecken der Nachkriegs-BRD. Inspiriert von der amerikanischen Beat-Generation schrieb er tatsächlich über all diejenigen, die nicht zum bürgerlichen Establishment der 60er Jahre gehörten, meistens aus der Perspektive von Spieler:innen, Drogensüchtigen, politischen Aktivist:innen und Prostituierten. Die Literaturkritik war sich einig, dass das, was er schrieb, allenfalls Schund war. Zu seinen größten Kritikern gehörte dummerweise kein Geringerer als Marcel Reich-Ranicki. „Mann und Maus“ ist sicher ein Paradebeispiel für seine Art zu schreiben. Trocken und direkt. Wenn ich sagte „wie ein Schnaps nach zu viel Bier“ würde ich sicher nicht lügen, aber der Vergleich wäre auch zu plump, um Fausers Prosa gerecht zu werden. Die Charaktere, die er in kurzen, allenfalls 20 Seiten langen Geschichten zeichnet, sind präzise, einprägsam und menschlich und vermitteln ein Gefühl für die BRD der 60er Jahre, mit all ihrem Ballast der Nazivergangenheit, den er wiederum einfach ausspart. Das Ungesagte wird zum Hintergrundrauschen, oder anders gesagt, zum Soundtrack seiner Geschichten. Spannend sind sie nicht. Eine Geschichte erzählen sie auch selten. Sie sind eher wunderbare Beobachtungen, die sich lesen wie Halluzinationen oder Fieberträume. Seine Personen sitzen viel in Kneipen herum, liegen im Bett oder lassen sich von irgendwem nach irgendwo fahren. Aus dem Derive der Situationisten macht Fauser ein Umhersumpfen, Wegdämmern und Ausklingen … und genau darin ist er grandios! Und noch ein Alkoholvergleich. Erinnert ihr euch an den letzten Kater, den ihr – den Staub im Schlaglicht das durch die Jalousie drang, beobachtend – einfach ausgelegen habt? Genau so ist „Mann und Maus“.

Frank-Thorsten Moll, 2024

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