28 vor 70 – Ein Blick in den Rückspiegel.
Da stand ich nun.
Eine junge Frau, 28 Jahre alt, das Universitätsstudium noch nicht lange abgeschlossen, irgendwo in einem Tagungshaus in der Eifel, neben mir ein humorvoller Pfarrer, humorvoll genug, mich als Referentin für diese Runde einzuladen, denn uns gegenüber saß eine Gruppe etwa 70-jähriger alter, weißer Männer, die als engagierte Katholiken viel Zeit in wichtigen Ehrenämtern verbracht hatten und die dieses Ehrenamt hier auch wieder hin geführt hatte.
Einer der älteren Männer sprach unverblümt seine Gedanken aus und fragte: „Mädchen, glauben Sie im Ernst, sie könnten uns hier irgendetwas (Neues) sagen?“ vielleicht hat er mich auch geduzt, denn er behandelte mich wie eine unmündige Schülerin, aber so ganz genau erinnere ich mich nicht mehr.
Hätten sie so auch mit einem Mann gesprochen?
Oder lag es nur am Alter?
An diese Situation musste ich dieser Tage, einige viele Jahre später, denken als ich mit Studierenden der Sozialen Arbeit in meiner Vorlesung über die Ergebnisse der Europawahl sprach, mich interessierte ihre Meinung und ausgesprochen wurde, was ich teilweise damals gefühlt habe:
“Warum glauben die Alten eigentlich, sie hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen, nur weil sie ein paar Jahrzehnte länger auf der Welt sind als ich und warum interessiert sie so wenig, was ich denke, welche neuen Ideen ich habe, was ich leiste und welche Leidenschaft ich für Themen mitbringe?”
Es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich diese Gedanken und Gefühle gehabt habe. Tatsächlich sind sie mir auch Dekaden später begegnet.
Auch, weil ich eine Frau bin.
Ein Thema, das an anderer Stelle vertieft behandelt werden muss. Aber es lässt mich doch nach wie vor innerlich (und äußerlich) aufschreien, wenn ich daran denke, wie wenig es uns in unserer modernen Zivilgesellschaft bisher gelungen ist, Frauen gleichzustellen, geschweige denn zu bezahlen.
Das, was ich in diesem Tagungshaus in der Eifel erlebte, war wie eine Altenrepublik, die heute durch den demographischen Wandel real existiert.
Wenn es nicht ausreichend zugewanderte Familien gäbe, hätte sich die Kinderzahl und der Bevölkerungsumfang in Deutschland möglicherweise schon halbiert und da wir Erfolg und Fortschritt immer noch anhand des Bruttoinlandsprodukts messen, wollen wir uns nicht ausmalen, welche Konsequenzen das für die Wirtschaft und den Gesundheits- und Sozialsektor gehabt hätte.
Wir leben in einer Altenrepublik, in der junge Menschen schon nicht ausreichend gehört werden, wie uns die Europawahlen krisenhaft verdeutlichen
Die Begegnung in der Eifel war ein prägender Moment.
Auch heute, Jahrzehnte später, ist die Stimme der Jugend oft nicht ausreichend gehört, sei es in politischen Debatten oder in gesellschaftlichen Diskursen. Doch um die Zukunft erfolgreich zu gestalten, müssen wir aufhören, in starren Alterskategorien zu denken. Nur durch echten Dialog und gegenseitigen Respekt können wir Brücken bauen und eine gerechtere, inklusivere Gesellschaft schaffen.
Die Altenrepublik darf nicht die Endstation sein. 28 zu 70 sollte nicht die Norm bleiben, sondern unser Zusammenhalt gewinnt, wenn Altersgruppen gleichberechtigt miteinander sprechen und voneinander lernen.