Vom Leben am Meer.

Lernen, lehren, lesen.

Der Boden ist nass vom Regen. Es ist herbstlich. Nur vereinzelt zwitschert noch ein Vogel. Die Möwen jammern.

Lernen.

Da zünde ich am Klavier schon mal ein Kerzlein an. Hier gibt es gerade Stücke von Ludwig van Beethoven (Piano Sonata No. 8), Frédéric Chopin (Étude Op. 10 No. 3), Erik Satie (Gnossienne No. 1) und Franz List (La Campanella) zu üben. Ich liebe es! Sie sind zum Glück so aufbereitet, dass Schülerinnen, die gerade mal die Grundlagen beherrschen, sie spielen können.

Lehren.

In der Lehre steht Soziologie auf dem Programm. Während wir über Gesellschaftstheorien und die Frage diskutieren, wie sehr in den pädagogischen Einrichtungen ungleiche Lebensverhältnisse an Kleidung, Sprache und Ernährung (Hat die Brotbox mehrere Fächer oder ist es eine Tüte Chips?) zu erkennen sind, macht sich ein allgemeines Kopfschütteln breit. Als die Frage aufgeworfen wird, wie es um die Gleichstellung von Frauen und Männern steht, gar ein Stirnrunzeln. “Wir stehen maximal (mal wieder) am Anfang.” bringt es eine Studentin auf den Punkt.

Ein Tränchen gibt es auch zu verdrücken, denn die Studis, die angefangen haben, als ich meine Arbeit bei der Hochschule aufnahm, stehen kurz vor ihrem Abschluss.

Gleichzeitig laufen die Planungen für das Wintersemester. Die Zukunft hängt in Form eines Kalender in Pastelltönen über meinem Schreibtisch. Jeweils vier Monate sind untereinander abgebildet. Der August kippt damit als letzter Monat in der zweiten Reihe schon ein wenig über in die Herbst- und Winterzeit. Daneben hängen die drei Monate des neuen Jahres 2026. Ein Blick in den nächsten Frühling.

Über dem Kalender hängt ein Bild von Edvard Munch aus dem Jahr 1889. Es heißt “Inger am Strand” (Sommernacht). Wikipedia erzählt, dass es an einem norwegischen Strand gemalt wurde. Es könnte aber auch hier am Badesteg gewesen sein, es sind die gleichen großen Steine, die Steine, von denen auch schon Thomas Mann in Buddenbrooks erzählt. Hier sitzt der Sohn des Lotzenkommandanten Schwarzkopf, Medizinstudent Morten, und wartet auf Tony Buddenbrook, da sein gesellschaftlicher Stand es nicht erlaubt, den Hauptstrand zu betreten. So spazieren sie am Möwenstein, gestehen sich ihre Liebe und können doch zueinander nicht kommen, da Fiesling Grünlich mit Selbstmord droht, wenn Tony ihn nicht heiratet. Da von ihm auch Geld zu erwarten ist, gibt Tony den Wünschen ihres Vaters nach.

Lesen.

Virginia Woolf: Roger Fry.

Inger, auf dem Bild von Edvard Munch, erinnert mich an Virginia Woolf. Von ihr lese ich aktuell die Biografie von Roger Fry, die 2023 erstmals ins Deutsche übersetzt wurde. Das Buch erzählt die Geschichte des Malers und Kunstkritikers Roger Fry, der eine bedeutsame Rolle bei der Anerkennung der modernen Kunst gespielt haben soll.

Der Geschmack von Apfelkernen.

Eine schöne Sommerlektüre war und ist Der Geschmack von Apfelkernen von Katharina Hagena. Sommer, Sonne, See und Nachdenkliches. Ich habe es an einem Wochenende gelesen. Es gibt das Buch auch bei Libby als Hörbuch.

Gedichte von Mary Oliver.

Eine neuere Gewohnheit ist es, Gedichte zu lesen. Nach Rilke lese ich jetzt, dank eines Geburtstagsgeschenks vor einigen Monaten, auch Gedichte von Mary Oliver. Schon der Titel des Gedichtbands:

“Sag mir,

was hast Du vor,

mit Deinem wilden,

kostbaren Leben?”

lädt zum Nachdenken ein, so erst recht die Gedichte.

Mit dem Hund geht es weiter aufwärts. Er wird schon wieder frech. Morgens bellt er mir ins schlafende Gesicht, wenn ich nicht früh genug wach werde. Er schlägt auf sein Spielschwein, das dann quietscht, weil ihm langweilig ist oder er kickt mir mitten in der virtuellen Lehre seinen gelb-roten Tennisball zu. Nach seinem Rehaprogramm ist er jetzt das erste Mal wieder die alte Hunderunde gelaufen.

Gerade prasselt ein besonders starker Regen hernieder. Also zünde ich eine Kerze an und lese noch etwas im Gedichtband von Mary Oliver.

Zögere nicht

Wenn du plötzlich und unerwartet Freude spürst,

dann zögere nicht.

Gib Dich ihr hin.

Vielleicht kann man sich auf diese Weise wehren,

damit eines Tages irgendetwas Besseres geschieht

als die Reichtümer und Mächte der Welt.

Es könnte alles sein, doch höchstwahrscheinlich bemerkst du es

in dem Moment, in dem die Liebe beginnt.

Das geschieht jedenfalls oft.

Und was es auch sein mag, fürchte dich nicht vor der Fülle.

Die Freude wurde nicht als Brotkrümel erschaffen.

Mary Oliver

Möwenlyrik.

Wasser wärmer als die Luft,

leichtes Sprühen 
von unten

oder war es oben?

Wolkendrama.

Klares Wasser,

Möwenwirbel,

Schwanenschwimmen,

Entenbaden.

Meerschwimmen 2025.

#Möwenlyrik