Life is a Journey!

RetroTagebuch 1983 (2)

Winzig klein duckte sich ein Haus, das sich nach näherem Hinsehen als unser  ”einsames” Schloss entpuppte, in der Wohnsiedlung. Die Enttäuschung dauerte allerdings nicht lange an. Wir stürmten zum Herbergsvater, um die Zimmer zu begutachten. Ich landete schließlich in einem Raum mit elf Betten. Es war der Größte. Während manche Mädels sich um den Platz an den zwei Waschbecken balgten, die Duschen und die Kleiderschränke belegten, warfen andere sich auf ihre Betten und schauten dem Treiben zu. Dramen um Kajal und Nagellack konnten schließlich doch gelöst werden.

Ausgeruht und erfrischt auf die eine oder andere Weise erschienen wir dann beim Abendessen. Es gab Wein und die Nacht brach langsam herein. Das Nachtleben konnte beginnen. Das Nachtleben war dann sehr harmlos. Wir saßen mit Bernd, dem Busfahrer, und unseren Lehrern im Essraum zusammen, tranken Wein und lachten viel.

Was sind schon 40 m?

“Aufstehen! Die Kultur ruft!”

Avignon

Nun, wir hatten gerade sechs Wochen Ferien hinter uns und dieser Lockruf konnte uns damals nicht so wirklich begeistern. Vor allem nicht zu dieser Stunde. Für unser Gefühl mitten in der Nacht.

So kam es auch, dass ich zunächst nur ein Auge öffnete und vor Schreck gleich wieder schloss. Um die beiden Waschbecken und Spiegel links neben meinem Bett tummelte sich eine Traube aufgeweckter Girls. Als ich das nächste Mal die Augen öffnete, hiess es allerdings schon: “Frühstück in fünf Minuten!” Immerhin, die Waschbecken waren jetzt frei!

Café au lait und Baguette lagen uns schwer im Magen als wir in den Bus stiegen. Auf nach Avignon! Noch vom Vorabend etwas müde schleppten wir uns durch den Papstpalast, wurden aber gleich munterer als es hieß, dass die restliche Zeit zur freien Verfügung stehe.

Ach, Frankreich!!

Hinaus in die Sonne, gleißend brannte sie auf die hellen Pflastersteine nieder. Und steuerten daher schnell auf ein Café zu, um uns zu erfrischen. Das Café, der süße Nachtisch der Kultur.

Für den Nachmittag war ein Picknick am Pont du Gerd geplant. Herrlich, bei der Hitze! Schnell daher vorher noch in einen Supermarché, um Wein und das Gummibrot zu erwerben.

Auf der Fahrt erzählte uns unser Lehrer etwas über die 50 m lange antike Wasserleitung und ihre Bedeutung für Vergangenheit und Gegenwart. Als wir das Ziel allerdings erreichten, wurde uns doch ganz schwindelig angesichts der Höhe. 40 m hoch ist der Aquädukt. 4x so hoch wie der Sprungturm im Freibad.

Einige Mutige liefen dennoch hoch oben über das geländerlose Gerinne der Wasserleitung. Ich probierte es auch, kehrte aber nach wenigen Metern um und zog es vor, durch die darunter liegenden Arkaden zu wandern. Die Menschen unten am Fluss erschienen wie Ameisen aus dieser Höhe.

Dann waren Schwimmen und Lagerfeuer angesagt. Hatten wir ein Lagerfeuer? Wir hatten jedenfalls Musik. B. spielte auf ihrer Gitarre, während wir Wein schlürften und am Baguette nuckelten.

Nîmes

Am nächsten Morgen hörte ich den Weckruf nur undeutlich, zwei Sekunden später schallte umso deutlicher laute Musik durch den Raum. Sunshine Reggae hatte dieses Mal gewonnen. Im gleichen Moment zogen sich zwei Bewohnerinnen des Elferzimmers die Decke über den Kopf.

Heute war draußen gedeckt. Der französische Morgen umschmeichelte uns mit einem lauen Lüftchen.

Nîmes stand auf dem Programm. Die Fahrt zu der alten Römerstadt mit rund der Hälfte der Einwohner Bonns dauerte zwei Stunden. In der Stadt angekommen besuchten wir als erstes das Amphitheater. Ich bin nicht sicher, ob wir dem nahezu zweitausend Jahre alten Gebäude den nötigen Respekt entgegen brachten, als wir die antiken Stufen der Arena hinaufstiegen. Immerhin ist sie nach dem Vorbild des römischen Kolosses gebaut und zählt zu den Besterhaltenen der ganzen Welt. Aber damals wie heute, was zählt ist das Selfie. Nur, dass es damals nicht so hieß.

Wir machten ein Gruppenfoto und stiegen dann die Stufen wieder hinunter. Etwas später stiegen wir die Treppen zu einem Haus namens Carrée hinauf, das Maison Carrée, ein römischer Tempel, und danach wieder hinunter. Wenige Minuten später jedoch sitzen wir eifrig schwatzend beim Café au lait. Wir kaufen ein paar Postkarten, schrieben Wetter, Essen, Betten gut darauf und sandten alles in Richtung Deutschland. Schließlich finden wir uns am Bus wieder, um zum Jardines de la Fontaine

Es ist ein großer öffentlicher Park mit vielen antiken Statuen und eignet sich besonders gut für tiefgründige Gespräche, wie wir sie damals so manches Mal dringend brauchten. Über Gott und die Welt philosophieren, uns klar werden, über das Leben, die Zukunft und überhaupt alles.

Auf der Rückfahrt hatten wir ein kleines amüsantes Erlebnis mit unserem Lehrer, der unbedingt noch im Gardon schwimmen wollte. Nun waren wir ja gerade gestern dort gewesen und natürlich war es praktisch, weil der Badeplatz zwischen Nimes und Avignon liegt, aber...es regnete in Strömen. Nun, also stimmten wir ab. Und die Mehrheit wollte zurück. Nichtsdestotrotz, wir trauten unseren Augen nicht, lenkte BB den Bus zum Fluss.

Monsieur Lehrer brauchte dann am Fluss noch zwanzig Minuten, um festzustellen, dass das Wetter tatsächlich nicht zum Schwimmen geeignet ist. Wir verdrehten die Augen und fanden es aber eigentlich ganz sympathisch, dass auch Lehrer mal so daneben liegen können.