Vom Leben am Meer.

Wie ausgewandert. (Teil 3)

Am blauen Himmel kreisen Möwen und stoßen ihre heiseren Schreie aus. Die Meeresbrandung tönt vom Ufer herauf. Ein Holzsteg lädt zum Bade ein.

So lassen sich Teile unseres Zukunftsbildes beschreiben, in das wir nun eintreten wollen.

Das Seebad Travemünde ist nach zwei Jahren Fehmarn nicht gleich die Erfüllung aller Träume. Für den Urlaub sind Küstenstädtchen wie Niendorf und Timmendorf idyllischer.

Aber Travemünde hat etwas ganz Wunderbares: Es hat einen Strandbahnhof!

Und der Bahnhof hat nicht nur einen wohlklingenden Namen und liegt wirklich gleich am Strand, sondern er führt auch ohne Umstieg in die Hansestädte Lübeck und Hamburg.

Das war für uns ein entscheidendes Kriterium der Wahl des Wohnortes.

Ostseebad Travemünde

Die Idee der Seebäder stammt aus England. In der Zeitschrift „Schöne und gesunde Welt“ um 1800 heißt es: Durch die heilvolle Wirkung des Badens in Seewasser könnten sehr viele Schwachheiten und Kränklichkeiten des Körpers behoben werden. Es braucht Badekarren und ein Badehaus.“

1793 wurde Heiligendamm als erstes Ostseebad eröffnet. Als erstes Nordseebad öffnete Norderney am 3. Oktober 1797 seinen Kurbetrieb.

In Travemünde wird am 1. Juli 1802 der Kurbetrieb eröffnet und, dass es das zweitälteste Ostseebad Deutschlands ist, sieht man ihm auch ein wenig an. Wie in der Geschichte nachzulesen ist, entwickeltes es sich im 19. Jahrhundert mit Casino und Pferderennbahn zu einem beliebten Feriendomizil, das auch gerne von Schriftstellern wie Dostojewski, Franz Kafka und natürlich Thomas Mann, der als Schüler hier seine Ferien verbrachte,  aufgesucht wurde. Thomas Mann setzte Travemünde und seiner Liebe zur Ostsee in Büchern wie Buddenbrooks, Tonio Kröger und Felix Krull ein Denkmal.

Der Rostocker Korbmachermeister Wilhelm Bartelmann verhalf den nord- und ostdeutschen Seebädern 1882 dann nochmal zu einem besonderen Merkmal, in dem er die Strandkörbe erfand, die auch in Travemünde bald ein- und zweisitzig vermietet wurden.

Die Lage des Seebades zwischen Ostsee und Trave macht es anfällig für Hochwasser und so wurde bereits 1904 eine 1 km lange Strandpromenade gebaut, die das Städtchen zum Meer hin schützt.

Alltäglicher Urlaub.

Für uns heißt es zunächst wieder, uns neu zu organisieren und auch, wenn wir Travemünde schon zu kennen glaubten, lernten wir den Ort jetzt anders kennen.

Zum ersten Mal erlebten wir alle Jahreszeiten an dem vertrauten Urlaubsort. Wir strandeten hier im Mai und erlebten zum ersten Mal das Anbaden, ein besonderer Event an der Küste, an dem eine Horde von Menschen ins Wasser stürmt, kurz eintaucht und wieder nach draußen eilt.

Wenig später wird ein Meer von Strandkörben aufgestellt.

Und wann wechselt eigentlich das Dasein vom Tourist zum Einwohner? Vielleicht, wenn man nicht mehr täglich ein Fischbrötchen essen muss?

Aber zunächst war alles wie immer. Und je weiter der Sommer fortschritt, umso mehr fühlte es sich nach Urlaub an. Straßen und Strände, Strandkörbe und Meer – überall tummelten sich Menschen dicht an dicht, froh nach den Jahren der Pandemie endlich wieder Urlaub machen zu können.

Irgendwann im September schlug das Wetter um. Die Touristen blieben aus. Die Strandkörbe wurden zusammengestellt und nach und nach abgeholt. Der Strand lag einsam da. Das Wasser schlug stürmischer gegen das Ufer. Die Blätter färbten sich. Ein paar Wanderer und Radfahrer waren auf der Steilküste zu treffen. Dann blieben auch sie fern.

Jetzt zeigte sich unser neuer Wohnort erstmal nackt und ohne sein Schönwettergesicht. Eine gute Zeit für Erkundungen. Mal mit dem Fahrrad überall entlang fahren. Durch die leere Einkaufsstraße flanieren. Die Buchhändlerin nicht mehr nur als Verkäuferin sehen, weil Zeit für eine Plauderei ist. Beim Italiener einen gemütlichen Winterabend verbringen und die Familie kennen lernen, die hier seit Jahrzehnten lebt und arbeitet. Konzerte besuchen, die nur Einheimische anhören, weil sie zum Club gehören.

Theater und Ausstellungen in der Hansestadt erleben und Weihnachtsmärkte.

In Travemünde haben uns die Winterstürme nicht mehr so sehr überrascht wie auf Fehmarn, weil sie auch etwas milder waren und doch hatten wir hier im letzten Jahr ein extremes Hochwasser, das sich Sturmflut nennt, und von dessen Auswüchsen an der ganzen Küste, besonders auch auf Fehmarn, Existenzen betroffen sind.

Der Schnee im letzten Jahr ließ das ganze Dorf wochenlang versinken.

Das Meer ist jeden Tag anders. Auch der Strand verändert sein Gesicht. In der Sommersaison bevölkern ihn Familien, im Herbst und Winter ist er weit und leer.

Die Steilküste ist mal voller Fahrräder, mal mit Wanderern übersät und in der Nebensaison liegt sie einsam da.

Nach einem Jahr kannten wir die unterschiedlichen Jahreszeiten.

Nach zwei Jahren kennen wir die Events, die hier monatlich wechseln, um Gäste zu unterhalten.

Andere Länder, andere Sitten.

Während der Pandemie brauchten wir einen Passierschein, um die Bundesländergrenzen zu überschreiten. Irgendwie symbolisch dafür, dass Deutschland doch immer noch eher ein Staatenbund als ein Bundesstaat ist. Schleswig-Holstein ist anders als das Rheinland, aber auch anders als das unmittelbar angrenzende Mecklenburg-Vorpommern. Und anders als Hamburg.

Hier regiert eine dänische Minderheit mit. Skandinavien liegt vor der Haustür. Und ist Schleswig-Holstein vielleicht fast näher als das am Ufer gegenüber liegende Mecklenburg-Vorpommern. Geschichte und Kultur prägen.

Auch der Arbeitswechsel in ein anderes Bundesland bringt Veränderung. Es ändert die Perspektive und dachten wir anfangs noch, im alten Trott weiter zu machen, boten sich neue Möglichkeiten.

Der Film „Unter der Sonne der Toskana“ erzählt die Geschichte einer Amerikanerin, die auf einer Reise durch Italien spontan eine alte Villa erwirbt, die aufwändig renoviert werden muss. Ihrem Immobilienmakler und Freund sagt sie zu einem Zeitpunkt, als es so aussieht, dass gar nichts klappen würde: „Ich möchte doch eines Tages noch eine Hochzeit in diesem Haus erleben.“ Sie denkt dabei an ihre eigene Hochzeit.

Tatsächlich erlebt sie am Ende bei einem bunten fröhlichen Einweihungsfest eine Hochzeit, es ist nicht ihre eigene und doch stellt sie fest, dass ihr Traum in Erfüllung gegangen ist.

Sie lebt ein erfülltes Leben.

Und das ist das Sonderbare und Wunderbare an dieser Reise bis hier hin.

Reisen wandelt.

Neue Landschaften und Kulturen verändern.

Sie öffnen neue Perspektiven.

Und lassen neue Zukunftsbilder entstehen …