Ethnokulturelle Identität und Rechtsextremismus
In seinem Buch “Regime Change von rechts” benennt Martin Sellner, einer der Protegés von Götz Kubitschek und Chef der Identitären Bewegung in Österreich, als Hauptziel rechter Politik die Bewahrung der sogenannten ethnokulturellen Identität. Wenn Sellner von rechter Politik spricht, meint er natürlich nicht Konservatismus oder Rechtspopulismus, sondern immer rechtsextreme Politik. Sellner erläutert in seinem Buch die verschiedenen Leitstrategien und Strategien – aber auch so genannte Nichtstrategien – um dieses Hauptziel zu erreichen, aber um diese Strategien soll es hier nicht gehen. Was Sellner (bewusst) nicht tut, ist die Klärung des Begriffs ethokulturelle Identität. Was verbirgt sich eigentlich dahinter, wenn dies das Hauptziel rechter Politik sein soll?
Die ethnokulturelle Identität, von der die Identitären sprechen, reduziert Menschen auf einen Teilaspekt ihres Lebens. Wir alle sind nicht nur Katholiken oder Protestanten, Männer oder Frauen, Schwarze oder Weiße, Heterosexuelle oder Homosexuelle, wir Menschen sind vielfältig und unterschiedlich und lassen uns nicht auf eine einzige Facette – nationale Identität, Hautfarbe oder was auch immer – reduzieren. Wir sind nicht nur Deutsche, sondern auch Schalke-Fans, nicht nur Frauen oder Männer, sondern auch Atomkraftgegner:innen, Muslime/Muslimas, Ärzt:innen. Wir haben nicht nur eine Identität, sondern viele verschiedene. Identität gibt es heutzutage also nur im Plural, sie ist weder festgelegt noch natürlich oder dauerhaft.
Eine einheitliche ethnokulturelle kollektive Identität ist eine Erfindung, ein Produkt von Geschichtsfälschungen, willkürlichen Setzungen und Fremdzuschreibungen. Wer so denkt, ist nicht weit davon entfernt, auch an ethnische Säuberungen zu denken. Genau solche Gedanken verbergen sich hinter neutral klingenden Begriffen wie Remigration. Remigration ist genau die Vokabel, die Rechtsextreme gesellschaftlich durchsetzen und normalisieren wollen. Es geht ihnen um die Verschiebung des so genannten Overton-Fensters, und genau das beschreibt Sellner in seinem Buch ganz offen.
Das Perfide am rechten Diskurs ist, dass Begriffe wie Remigration auch als Durchsetzung normaler Verwaltungsabläufe interpretiert werden können. Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus sollen in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden. Wenn es aber nur darum ginge, hätte die ethnokulturelle Identität und Begriffe wie Remigration nicht den Rang eines Hauptziels. Sonst würde nicht eine ganze Partei wie die AfD auf dieses Ziel hinarbeiten, und nicht nur die AfD als Partei, sondern auch diverse aktivistische Gruppen wie die Identitäre Bewegung, rechtsextreme Vordenker wie Kubitschek, aber auch eine sogenannte alternative Gegenöffentlichkeit mit rechten Influencern, Blogs, Zeitschriften, YouTube-Kanälen und Fernsehsendern. Begriffe wie zum Beispiel Remigration können im rechten Framing immer wieder nach Belieben so verwendet werden, wie es gerade passt.
In der Öffentlichkeit wird “Remigration” als normale Durchsetzung von Recht und Ordnung dargestellt. In internen Kreisen, an die sich auch Sellners Buch richtet, wird Remigration als ethnisch-kulturelle Säuberung verstanden. Und ja, man könnte auch von ethnischer Säuberung sprechen.
Warum aber sind Begriffe wie “ethnokulturelle Identität” und “Remigration” im rechten Diskurs so wichtig? Dafür gibt es eine ganz praktische und einfache Erklärung. Diese Begriffe stellen einen Minimalkonsens innerhalb des rechten Lagers dar, das in sich gespalten ist und konkurrierende Ziele verfolgt. Diese Begriffe sind wie Fasces, die das rechte Lager auf ein gemeinsames Ziel ausrichten.
Das ist wichtig zu sehen, denn die extreme Rechte in Deutschland kann eine kritische Masse an Personen erreichen, sie ist organisiert in
- Partei, also die AfD,
- Aktivisten wie Identitäre Bewegung, Lukreta, Troll-Fabriken wie Reconquista Germanica etc.,
- Gegenöffentlichkeit wie AUF1, Compact-Magazin, Junge Freiheit, Antaios Verlag etc. und
- Gegenkultur wie Filmkunstkollektiv, rechte Onlinespiele, rechte Comics etc.
und haben mit Kubitschek einen Chefideologen. Es geht den Rechtsextremen also nicht (nur) darum, politische und exekutive Macht zu erlangen, sondern auch darum, die Gesellschaft und ihren Diskurs im Sinne der rechtsextremen Ideologie zu verändern. Es geht darum, das oben erwähnte Overton-Fenster der Gesellschaft zu verschieben und damit auch unsagbare Positionen wie Rassismus, Antisemitismus, Misogynie zu normalisieren. Das ist ein wichtiger Gedanke, denn Rechtsextreme können nur in einer Gesellschaft an der Macht bleiben, die rechtsextreme Positionen als normal ansieht. Die Erlangung politischer Macht ist ihnen wichtig, aber sie wissen, dass diese politische Macht nur dann von Dauer sein kann, wenn die gesamte Gesellschaft so denkt wie sie.
Also kämpfen wir dafür, dass das nicht passiert, und ein wichtiger Schritt in diesem Kampf ist es, ihre Leitstrategie zu erkennen. Die Neue Rechte hat die Grundlagen ihrer Strategie von Antonio Gramsci gelernt, der eigentlich Kommunist war. Öffnen wir die Augen und schauen wir genauer hin.