Notizen eines Fiktionauten.

052 Zur Causa Twitter

Zunächst einmal: Es stimmt, dass der Begriff “Flüchtlinge” in Bezug auf jene Personen, die sich nach dem Takeover von Twitter durch Elon Musk in dezentrale Netzwerke abgesetzt haben, ein sehr unpassender ist. Mehrere Posts im Fediverse haben darauf hingewiesen. Auch ich habe ihn verwendet, ohne kritisch darüber nachzudenken. Dafür entschuldige ich mich.

Flüchtlinge sitzen nicht bequem zuhause an ihren Schreibtischen und verlassen freiwillig einen Internetdienst: sie für die Neuankömmlinge auf Mastodon zu verwenden, die sich aus wie immer gearteter Motivation entschieden haben, einmal was Neues zu probieren, ist schlicht und einfach deplatziert. Auch der Begriff der #twittermigration hat sich als Hashtag durchgesetzt, erscheint mir aber auch nicht geeignet. Migration ist zwar der allgemeinere Begriff für den freiwilligen bzw. unfreiwilligen Wohnortwechsel und zudem ein Begriff aus dem IT Bereich, jedoch auch in ihm schwelt das Elend der Flüchtlinge.

Da gefiel mir schon aus Sicht des Fediverse der Begriff des #Neuhier besser. Massenhafte Neuzugänge werden ja einigermassen gefeiert, auch in der zweiten Wellen ihrer Bewegung. Viel Grund zur Freude also, endlich mehr an medialer Beachtung zu bekommen und nicht mehr so oft Anwürfen ausgesetzt zu sein, wie sie kürzlich von t-online geäussert wurden:

.... Bei Mastodon und Konsorten sind schlicht zu wenig Menschen und zu wenig spannende Inhalte, um die Plattform wie Twitter nutzen zu können ...

Jetzt mag es zwar stimmen, dass zu wenig Content auf Mastodon produziert wird und dass eine gewisse kritische Masse an Personen fehlt, aber dem kann doch durch die Produktion von ernsthaften Inhalten geholfen werden. Es ist weniger eine Frage der Quantität denn Qualität. Steigt verständlicher Inhalt, werden Menschen auch ohne unmittelbaren Anlass verstärkt dezentrale Instanzen bevölkern. Einfach, weil hier Mehreres stimmt: intellektuelle Anregung, gegenseitige Wertschätzung, Algorhytmen-Enthaltsamkeit und Werbefreiheit.

Überhaupt, angesichts der beobachteten Abwanderung von Twitter in hämische Kommentare oder Freudenbezeugungen auszubrechen, ist zumindest in politischer Perspektive kurzsichtig. Die von Musk geäusserte Angekündigung, er würde für mehr “Redefreiheit” stehen, hat natürlich zu einem Ansturm von Followern auf rechtskonservative Twitteranten gesorgt. Wir wissen wohl, wie sich der Begriff des “Freedom of Speech” zu einem Instrument des wütenden Populismus, dem “Freedom of Hate-Speech” gewandelt hat. Twitter droht also tendenziell weiter nach Rechts zu rücken, vor allem auch weil viele kritische User den Dienst verlassen. Da appellieren schon Einige, den Account nicht zu löschen, wie die New York Times berichtet. Sie zitiert dabei einen Tweet des Pastors Joe Pavlovitz:

“If decent moderates and people on the Left keep abandoning platforms, we allow the extremist Right to own the narrative and we give the truth no voice .. The New York Times

Wenig Grund also zur Schadenfreude. Diese denkt nicht über den eigenen Tellerand des Fediverse hinaus.

Es gibt hier auf Mastodon sehr viel zu tun in nächster Zeit: Content Creation, ein geeignetes Narrativ zwischen Freiheit und Verantwortung zu finden, das demokratische Regelwerk und die finanzielle Unabhängigkeit der Instanzen zu stützen, die Integration der Neuankömmlinge zu unterstützen und und und ... Schadenfreude und Eigenlob sind dabei kontraproduktiv. Und Selbstbewusstsein braucht die zufällige Zuwanderung nicht: sie lädt einfach ein.

#Fediverse #Mastodon #Twitter #MiniEssay