026 Der Körper der kleinen Sainte Foy
Die Kirche in Rosureux ist der Heiligen Fides von Agen (Sainte Foy) geweiht. Ich betrete die Kirche und mache einen skurrilen Fund.
Man möchte meinen, dass die Kirche auf dem kleinen, zentralen Platz in Rosureux schon über Jahrhunderte ihren Platz behauptet hätte, so archaisch erscheint die Architektur des gesamten Ortes. Ein steinernes Zeugnis sei die Kirche für den längst verschwundenen Glauben der Bevölkerung, für seinen Aberglauben an die Wundertätigkeit eines kleinen Mädchens aus Aquitanien.
Doch wir täuschen uns und die Chronik des Ortes belehrt uns eines Besseren. Die Kirche stammt aus dem Jahr 1779, davor stand hier eine Kapelle aus dem 16. Jahrhundert, der Glockenturm wurde einige Jahre später, im Jahr 1781, errichtet. Dann aber zerstörten zwei Brände, nämlich 1834 und 1952 die Kirche völlig, sodass sie jeweils zwei Jahre später im ursprünglichen Stil wieder aufgebaut werden musste. Die Kirche ist also nicht viel älter als der Verfasser dieser Zeilen, was eine Art Verbindung zwischen beiden schmiedet. Jung also, und alt zugleich: eine Lebensbegleiterin an entlegener, bislang unbekannter Stelle: im Herzen eines tief eingeschnittenen Tales mitten in der grünen Wildnis des Jura. Aufgrund der den Dingen innewohnenden Einfachheit wirkt hier alles älter, traditioneller, ursprünglicher. Sind wir zur Einfachheit des Lebens zuückgekehrt?
Dennoch widerfährt dem Besucher beim Betreten der Kirche etwas, was zunächst ehrfürchtiges Schaudern, dann aber so etwas historische Differenz hervorruft. Im Inneren der sehr einfach gehaltenen Kirche von Rosuraux findet sich ein kleiner gläserner Kasten, in der die Gestalt der Heiligen Fides von Agen aufgebahrt liegt. Ein Reliquiar in Form eines Sarges. Die Kirche ist ihr geweiht, vor dem Gotteshaus befindet sich ein gemauerter Brunnen, der in seiner Mitte eine Steinskulptur der Heiligen trägt. Die aufgebahrte Heilige im Inneren der Kirche aber fesselt meine Aufmerksamkeit, spekuliert sie doch mit dem morbiden Charme eines toten Kindes.
Also eben keine Reliquie, sondern eine Puppe in diesem etwa 150 cm langen Sarg, nicht älter als fünfzig, sechzig Jahre. Den Sargdeckel tragen stilisierte klassizistische Säulchen aus mit Goldfarbe gemalten Holz, dazwischen Glas, um den Blick auf das am Rücken liegende Mädchen Mädchen freizugeben. Gebettet wurde es auf einer weissen Matratze und zwei Kissen, die ihren Kopf stützen. Sainte Foy ist mit einem langen pinkfarbenen und mit Spitzen geschmückten Gewand bekleidet, trägt Sandalen und einen goldfarbenen Haarring. Das Haar selbst scheint echtes Haar zu sein, gekämmt fällt es über die Schultern. Woher wurde es genommen, von wem stammt es? Gruselig auch die Augen, die noch halbgeöffnet und nach oben verdreht sind. Zwischen rechter Hand und Oberkörper ist ein goldener Strab abgebildet, welcher wohl die *Märtyrerpalme” versinnbildlichen soll. Die Rückseite des Sarges ist mit purpurnem Samt ausgekleidet, ein filigranes Kreuz auf einer Halskette hängt dort, als hätte es dem Kind von einst gehört.
Da liegt es nun, das unschuldige Kind von 15 Jahren, dass sich gegen die Tradition und für einen neuen, frischen Glauben entschieden hat und welches dafür den heidnischen Göttern geopfert werden musste. Wir schreiben das 4. Jahrhundert, genauer den 6. Oktober 303 und wir befinden uns in AGEN, einem Ort im Südosten Frankreichs. Der Legende nach war dieses Kind ein Mädchen aus vornehmer Familie und sollte, vor den römischen Statthalter Datianus zitiert, der heidnischen Göttin Diana ihre Tribut zollen, so wie es damals dem Alter und den Gebräuchen entsprach. In einem besonderem Ritus und unter der Verwendung von Weihrauch sollte sie dem im römischen Reich weitverbreiteten Dianakult ihre Referenz erweisen. Doch diesem Initiationsritus entschlug sie sich der Legende nach standhaft mit dem Verweis auf die Dämonen, die hinter den römischen Göttern stünden. Allein ihrem christlichen Herren wolle sie dienen, den Dämonen der alten Götter müsse sie entsagen. Als alle Drohungen der Obrigkeit nichts halfen und ein Präzedenzfall geschaffen worden war, hatte sie die Konsequenzen durch die Mächtigen zu tragen. Sie wurde auf einen bronzenen Gitterrost gebunden und darauf verbrannt. Mit ihr ihre Geschwister und einige ihrer unmittelbaren Anhänger. Die Leidensgeschichte besagt auch, dass sie vom Leiden erlöst, einem ihrer Verehrer erschien, in strahlend weissem Gewand und einer Krone mit Edelsteinen und Perlen auf dem Haupte. Eine Taube flog aus den Wolken und setzte sich auf ihren Kopf, untrügliches Zeichen, dass sie durch ihre Standhaftigkeit das Ewige Heil errungen hatte. Im gleichen Zug, erklärt es die Legende , wurden ihre Gebeine sofort nach ihrem Tod verbracht.
Ein Stück weit spiegelt sich in dieser Legende der Kampf des Christentums gegen die alten heidnischen Bräuche, die noch bis ins 9. Jahrhundert in ländlichen Gegenden weiterlebten, die aber nun mit einem behaupteten Hexentum in Verbindung gebracht wurden, wie etwa in einem Bericht aus der Abtei Brün im 9. Jahhundert:
... dass einige verbrecherische Weiber, umgewandt dem Satan nach, verführt durch Illusionen und Phantasmen der Dämonen, vermeinen und behaupten zu nächtlicher Stunde mit Diana, der dea paganorum (= Göttin der Heiden) und einer zahlreichen Menge von Frauen auf irgendwelchen Tieren zu reiten und grosse Räume in der Stille der unheimlichen Nacht zu durchmessen, ihren Befehlen als denen einer Herrin zu gehorchen und in bestimmten Nächten zu ihrem Dienst aufgerufen zu werden.
Der nachantike Dianakult.
Noch einmal: Es war ein Kind, das hier als Märtyrerin herhalten musste, weil es offenbar den gesellschaftlichen Regeln mit ungewöhnlicher Standhaftigkeit widersprach. Ich frage mich dabei: wie gruselig ist es, wenn eine Institution ihre Kinder zu Märtyrerinnen macht, um so ihre Macht in der Bevölkerung zu zeigen? Und noch etwas zweites frage ich mich: was bringt eine Gemeinschaft dazu, solch ein perverses Faktotum, eben die Reliquien eines verbrannten Kindes, anzubeten und zu verehren? Der Fides-Kult, der sich wie auch viele andere christliche Kulkte im Mittelalter auszubreiten begann, spricht eine deutliche Sprache. Sie stieg schon bald zu einer der wichtigsten Heiligen des europäischen Mittelalters auf und breitete sich rasch entlang der Jakobswege aus. In Frankreich erhielten viele Kirchen das Patrozinium (die Schutzherrschaft) der Hl. Fides. Dieser Reliquienkult mag für die Vergangenheit wohl verständlich erscheinen, wo Aberglauben und Wunderglauben sich im Christentum die Hand gaben. Was aber geht in Menschen vor, die in einer vor 60 Jahren neuerbauten Kirche den Reliquienkult wie auf einer Bühne nachzustellen vermögen?