Notizen eines Fiktionauten.

024 Grenzüberschreitungen 3

Nach den literarischen nun auch noch die persönlichen Erfahrungen mit der Grenze.

Assoziationen: Damals im Waldviertel in den 70er Jahren, im verschneiten Wald, als mich die plötzlich auftauchenen Tafeln mit der Aufschrift Achtung, Schussgefahr beim Langlauf sehr erschreckten und ich es als möglich denken wollte, dass wir am Eisernen Vorhang lebten.

Dann später, in den 90er Jahren, als bei der Zugfahrt von Wien nach Zagreb diese neuen Grenzen meinen Nachtschlaf störten und Grenzbeamte in Operettenuniformen mir klar machten, dass die Stunde des Nationalismus geschlagen hatte. “Krieg in Jugoslawien”, hiess das damals. Schliesslich die Jahre beruflicher Flugreisen, bei denen Grenzen wie ein Überbleibsel aus einer vergangenen Zeit erschienen. Und dann die Pandemie 2020 als man sich in der Verzweiflung politischer Orientierungslosigkeit dazu hinreissen liess, einen Grenzzaun zwischen Deutschland und der Schweiz aufzustellen (zwischen den Stadtteilen Kreuzlingen und Konstanz). Bis heute empfinde ich politische Grenzen nur als Behinderung im natürlichen Umgang der Menschen mit den Menschen.

Bei meinem letzten Aufenthalt im Klettgau verhöhne ich die Anmassung einer Grenze zwischen demokratischen und pluralistischen Staaten, die miteinander in Frieden leben. Die vielen Grenzsteine an der deutsch-schweizer Grenze haben natürlich ihre Bedeutung, obwohl sie völlig verloren in der Landschaft stehen, wie Zeugen aus bedeutungslosen Zeiten. Um 1830, während der letzten Grenzkorrekturen zwischen dem Grossherzogtum Baden und dem Kanton Schaffhausen wurden diese Steine auf spezielle Art eingegraben und ausgerichtet, mit den richtigen Beschriftungen auf den richtigen Seiten. Auf der Deckfläche der Quader befindet sich eine Einkerbung, die den Grenzverlauf markiert. Das alles lässt mich wieder an das Kapitel des Romans von Ruth Blum denken, wo diesselben Steine doch etwas anderes andeuteten als diese heute tun: die Grenze zwischen Krieg und Frieden.

Und dann die Wanderung vor zwei Wochen. Von einem Berghof hinunter zieht sich der kleine Waldpfad in den seltsamen Ort Wunderklingen. An ihm liegen sehr viele dieser alten Grenzsteine. Ich behandle sie wie Denkmäler, die unter Schutz stehen. Ich betrachte und berühre sie, fotografiere sie und bewundere sie ein wenig. Fast 200 Jahre stehn sie da als stumme Zeugen einer zwar historisch gewordenen, aber letztlich doch willkürlichen Setzung politischer Macht. Ich laufe Slalom zwischen ihnen wie ein kleines Kind, das die Realität nicht anerkennen will.

#RuthBlum #Klettgau #Grenzen