Notizen eines Fiktionauten.

014 Rezension: “Wir sind das Licht” von Gerda Blees

Wer sich einen Roman erwartet, der esoterische Praktiken ins Rampenlicht stellt und deren Irreleitung anprangert, stellt, liegt falsch. Es geht vielmehr um die Einsamkeit des Menschen mit sich selbst.

Das Buch startet mit dem Sterben, einem Prozess, indem die Sterbende meint, sie könne einfach nicht mehr. Elisabeth legt sich nieder und stirbt, vor den Augen ihrer drei MitbewohnerInnen, die zusehen und nichts tun können, weil sie derart mit sich beschäftigt sind. Der mensch ist immer allein mit sich selbst, das lernen wir von Anfang an.

Rein äusserlich geht es in G. Blees Erstlingswerk um die Frage, wer denn Schuld am Tod dieser Frau sein könnte, die sich vor den Augen ihrer MitbewohnerInnen zu Tode hungarn darf. Warum hat man es so weit kommen lassen, warum hat man keine ärztliche Hilfe geholt, warum verherrlicht man den Tod und verkennt dessen Tragik so unbeirrt. Diese Fragen stellen sich die Polizei und in weiterer Folge auch die LeserInnen. Liegt es denn nicht ohnehin auf der Hand: dass eine der Esoterik zugewandten Gruppe, die sich allein von Licht ernähren will, sich zu Tode hungern muss? Ein erwartbares, wenn auch tragisches Sektenschicksal?

Gerda Blees hält fest, dass sie zwar Meldungen über einen derartigen Fall zum Anlass genommen hätte, diese Geschichte zu erzählen, es scheint aber, als habe sie die Faktizität dieses Falles nie interessiert. Die Geschichte, die sie geschrieben habe, sei allein ein Produkt ihrer Phantasie. Ein Stück Fiktion also.

Doch warum geht es dann in diesem dicht geschriebenen und oft überwältigendem Text von 240 Seiten? Das ist so leicht nicht zu entscheiden, denn der Todesfall und die unmittelbaren Reaktionen darauf werden aus 25 verschiedenen Perspektiven beleuchtet, die den 25 Kapiteln des Buches entsprechen. Es sind ungewöhnliche Perspektiven, die die Erzählerin dabei formuliert: die des Todes, die des Lichts, die der kognitiven Dissonanz in den handelnden Personen, die der Eltern der Verstorbenen, die der Musikinstrumente, auf denen die Wohngruppe sich selbst feiert. Nebel zieht auf, und ganz gleich welche Position man zu esoterischen Haltungen einnehmen mag: die einfache Schuldzuweisung verschwimmt einem vor Augen, wenn so viele Perspektiven eröffnet werden. Das ist gut so, denn das Leben der Menschen war noch nie eindeutig und klar.

Dass auch Dinge Haltungen entwickeln können und ihre Sicht auf die Geschehnisse, mag ungewöhnlich und wie ein schriftstellerischer Trick erscheinen. Oft beeindruckt das, manchmal erscheint es ein wenig lächerlich und in wenigen Gällen auch kokett, wenn etwa die Erzählung selbst den Blick auf die Erzählerin eröffnet:

“Die Autorin hat keine Zeit dafür, Sachen zu erfinden, die uns interessanter machen würden. Dabei gibt es noch so viel Spannendes zu erzählen.”

Die Handlung kommt nicht so richtig voran, vielmehr kreist sie um vier Menschen, die zusammenwohnen, um ihren Einsamkeiten zu entgehen bis eine von ihnen stirbt. Oft fällt es schwer, längere Passagen des Romans in einem Stück zu lesen. Tief verbohrt sich der Roman in menschliche Befindlichkeiten, in die Unentschiedenheit der Existenz, in die Manipulation duch den Anderen, in das sich allein gelassen Fühlen.

Es ist, wenn man so will, ein zutiefst existentialistischer Roman, dem wir hier nicht entrinnen können: Ohne Hoffnung, aber mit wachsenden Zweifeln an sich selbst und den anderen. Ratlos lässt er uns zurück mit uns selbst. Wir möchten ihn von Neuem zu lesen beginnen. So soll Literatur sein.

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