Todestag
Ein Jahr.
Ein Jahr habe ich dich nicht gesehen.
Ein Jahr nicht mit dir gesprochen.
Ein Jahr dich nicht umarmt.
Dein Gesicht nicht gesehen.
Dein Lachen nicht gehört.
Und auch deine Stimme nicht.
Weil du tot bist.
Ein Jahr lang habe ich getrauert.
Immer wieder geweint.
Ein Jahr war ich immer wieder wütend.
Auf dich.
Auf das, was du getan hast.
Auf das, was es mit uns macht,
dass du uns verlassen hast.
Ein Jahr habe ich gekämpft.
Gekämpft darum zu akzeptieren.
Damit zurechtzukommen.
Nicht unterzugehen.
Nicht zu verzweifeln.
Wut und Trauer gleichermassen zuzulassen.
Selbst wieder zu heilen.
Ein Jahr Erinnerungen.
Plötzlich dein Gesicht vor Augen.
Die Erinnerung an deine Stimme.
Fotos aus Zeiten, wo es dir gut ging.
Wo du gelacht hast.
Wie eigenartig es ist, eine alte Sprachnachricht von dir zu hören!
Als wärst du lebendig.
Als wärst du noch da und alles normal.
Und immer wieder scheinst du gar nicht
tot zu sein.
Und doch ist da ein Ende.
Dein Name ist in den Nachrichten
ganz nach unten gerutscht.
Ein Jahr nach unten.
Vor einem Jahr hast du mir
die letzte Nachricht geschickt.
Ein grosses, rotes, pulsierendes Herz.
Deine Antwort auf meine Bitte,
dass du dir Hilfe holst.
Aber es war schon zu spät.
Dein Entschluss war längst gefasst.
Immer wieder öffne ich die Nachricht
und schaue mir das Herz an.
Das war dein Abschied.
An meinem Geburtstag.
Ein Tag, bevor du dir das Leben nahmst.
Ich glaube, du hast mich geliebt.
Und auch ich habe dich geliebt,
kleine Schwester.
Machs gut, Didi.
