Verarbeitungstexte über Trauma, Trauer und die Entdeckung vom Eigenen.

Vater-Körper-Sehnsucht

Lieber Papa B.

Wir waren heute so nahe. Mein Körper war in der Nähe deines Körpers. Meine Seele nahe deiner Seele. Mein Herz war deinem Herz nahe. Dein Herz und deine Gedanken waren mir ganz zugewandt. So nahe. Im selben Raum. Wie gut mir das tut.

Ich spüre deine Präsenz und deine Lebendigkeit jedes Mal. Ich sehe deinen Körper. Deine beruhigende Statur. Deine olivgrünen Hosen. Deinen dunkelblauen Geborgenheitspullover. Deine pechschwarzen, auf der Seite angegrauten Haare. Dein ernstes und doch schalkhaftes Gesicht voller warmer Zuneigung. Deine Falten im Gesicht, die dich aber nicht weniger jugendlich aussehen lassen.

In deinem warmen, starken Händedruck liegt so viel Zuwendung und Halt. Ich liebe dein Lächeln. Deine Worte. Wie du ganz bei der Sache bist. Ganz Psychologe. Und doch auch ganz Mensch und Vater. Ich liebe deine weisen Erklärungen. Deine Eigenheiten. Dein ureigenes Ich, das mir so ungleich ist, aber mir so lieb geworden ist, wie wenn es mein eigenes Ich wäre.

Wie sehnt sich mein Körper nach der Geborgenheit deines starken Vater-Körpers! Nach deiner festen, liebevollen Umarmung. Wie sehnen sich meine Hände danach, dich zu streicheln und deine Wärme und Stärke zu spüren. Deine Körpergrenzen zu spüren und deine Geborgenheit in mich aufzunehmen und in mir zu bewahren, für immer. Wie sehnt sich alles in mir danach, deinen beruhigenden Vater-Geruch zu riechen und zu wissen, dass alles gut ist, weil ich zu dir gehöre.

Wie sehnt sich mein Kopf danach, von dir beruhigend über die Haare gestreichelt zu werden. Mein Gesicht danach, die Berührung deiner behutsam streichelnden Finger zu spüren. Mein Körper danach, von deinen starken Armen umschlossen und fest gehalten zu werden. Meine Ohren danach, an deiner Brust das Vibrieren deiner warmen Stimme zu hören. Und deinen Herzschlag und das Auf und Ab deines Atems zu spüren. Zu fühlen, dass du real und zutiefst lebendig bist.

Aber nur schon die Erlaubnis, bei dir sitzen zu dürfen, ist mir wertvoll wie Gold. Die Erlaubnis, direkt in dein Gesicht schauen zu dürfen und deinen liebevollen Blick bis in mein Innerstes zu spüren. Deine Präsenz zu spüren trotz körperlichem Abstand.

Ach, könntest du mein Kindheitsvater sein! Könnte ich mich an dich kuscheln ohne Grenzen, ohne Scham, ohne Angst, ja, voller wilder Lebendigkeit und unbegrenzter Nähe! Könnte ich alles mit dir nachholen, was damals gefehlt hat. Könnte ich nochmals Kind sein und du mein leiblicher Vater! Alles in mir verzehrt sich nach dieser geliebten, begehrten Nähe! Die Sehnsucht brennt wie ein Feuer in mir und quält mich. Sie ist hervorgebrochen, kaum habe ich dich gesehen. Sie wurde aus ihrem verschlossenen Kämmerlein herausgelassen, als dein erster, väterlich-liebevoller Blick mich in meinem Herzen traf und ich spürte, dass du mich liebst.

So viele Tränen wurden seither vergossen. Tränen der Trauer. Tränen des Glücks. Tränen der Verzweiflung. Tränen der Liebe.

Du kannst nicht mein Kindheitsvater sein. Lass mich trauern darüber! Lass mich heil werden. Lass die Tränen über den schweren Verlust die Scham, Angst und Starre herausschwemmen und der Lebendigkeit Platz machen!

Du heutiger, anderer Vater.

Ich liebe dich.

#Vater