Gedanken zur digitalen Selbstbestimmung

Elon Musk und die gescheiterte Schockstrategie

Elon Musk, © Frank-Thorsten Moll, 2022

Viel wird zurzeit über Elon Musks Twitterübernahme, bzw. die vermeintlich chaotischen Zustände seit seiner Übernahme berichtet. Von irrationalen Entscheidungen wird gesprochen, von erratischem Gebaren eines Egomanen, von einer Selbstentzauberung und auch und immer wieder von Winkelzügen eines Genies.

Eigentlich bin ich auch eher ein Anhänger der Gruppe, die sagt, dass im Grunde alles Geschreibe und Gerede über Musk zu viel ist und nur die Aufmerksamkeitsbestie nährt und weiter wachsen lässt. Und tatsächlich finde ich vieles überflüssig und sensationsheischend – ganz so wie früher bei Trump, der auch zu viel Aufmerksamkeit erhielt. Und natürlich ist es nicht weiter erstaunlich, dass Trump und Musk sich beide tief in die Geschichte Twitters eingeschrieben haben: offenbar waren beide die perfekten Verkörperungen jeweils einer anderen Phase des Niedergangs von Twitter.

Was mich jedoch am meisten wundert ist, warum ich bisher noch kaum etwas über den Zusammenhang zwischen einer der beliebtesten Welterklärtexte aus der Feder Naomi Kleins – namentlich dem Buch „Die Schock-Strategie: Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus“ (2007) – und der Art wie Musk Twitter übernimmt geschrieben wurde. Ist das nicht offensichtlich?

Wir schauen zurück. Klein erklärt mit ihrem eloquenten Buch so ziemlich alle Kriege, die von den USA geführt worden waren, knüpft diese an Strategien der CIA und belegt deren Übertragung auf die Spätphase des Kapitalismus – den sogenannten Katastrophen-Kapitalismus.

Schaut man die einzelnen Etappen aus der Twitterübernahme an, sind darin schon die meisten Elemente ihrer Thesen enthalten. Die ganze Angelegenheit lief von Beginn an ab, wie eine feindliche Übernahme, gegen die sich die Gründer Twitters zwar lange Zeit zu wehren versuchten, als die Übernahme unabwendbar war, wurden die Schlüssel übergeben, Entschuldigungen für eigenes Versagen geteilt und der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass mit dem „Neuen“ vielleicht auch einiges besser werde. Dann war Elon Musk da und brachte sein Waschbecken mit. Nach dem relativ zivilen und mehr grotesken Einzug übernahm die Kündigungsdiplomatie. Er feuerte sofort und mit eiserner Hand alle, die für das alte System standen und versuchte die verbliebenen Mitarbeiter:innen (die Fußsoldat:innen) in Linie zu bringen. Weitere Entlassungen folgten. Kernaussage seiner Firmenkommunikation war: Unterwerft euch meiner Politik, oder ihr könnt die Koffer packen. An dieser Stelle zeigte Musk die Härte, die bei militärischen Invasionen wesentlicher und namensgebender Teil der Schock-Strategie sind. Das wesentliche Gefühl muss das einer existenziellen Unsicherheit sein – niemand darf sich seiner Sache geschweige denn seines Jobs sicher sein. Angst und Unterwerfung sind im Umkehrschluss die Währungseinheiten, mit denen man sein Arbeitsverhältnis aufrechterhalten kann. Wer da nicht mitspielen will, wird gefeuert, geblockt, angefeindet. Und dann? Dann lief immer noch nichts rund. Seine ganzen Neuerungen waren entweder undurchführbar oder schlichtweg dumm und als die Presse sich gegen Musk „verschwor“ eskalierte alles.

Seine jüngste Twitterumfrage, in der er fragt, ob er als CEO weitermachen soll oder nicht, wirkt bereits wie das Eingeständnis, dass seine Mittel nicht greifen aka dass er gescheitert ist. Ihn scheint das ebenso zu überraschen, wie die meisten Journalist:innen. Warum eigentlich? Woran hat es gelegen?

Wahrscheinlich, daran, dass er schlicht und ergreifend nicht genug Schock in seine Strategie zu bringen vermochte, um die von ihm verhasste Twitter-Firmenkultur (der Verschwendung, aber auch des Versuchs, einigermaßen an den demokratischen Prinzipien festzuhalten) nachhaltig zu zerschlagen. Die Mitarbeiter Twitters ließen sich einfach nicht in dem Umfang verängstigen, wie gehofft. Viele gingen erhobenen Hauptes und erdreisteten sich, die E-Mails zu leaken, die Musk herumgeschickt hatte, oder eröffneten selbst eine Mastodon-Instanz für Ex-Twitter-Mitarbeiter:innen. Kurzum: Sie zeigten Musk den Mittelfinger, wo sie nur konnten. Häme und Spott – soviel ist gewiss – sind der Feind eines jeden CEO.

Und so wurde Musks Handeln immer angestrengter und empfindlicher. Ganz so als könne er nicht verstehen, dass sein Rettungsversuch, als den er die Übernahme versucht hatte, zu kaschieren, überhaupt nicht gewürdigt wird. Er fühlt sich offenkundig missverstanden. Was sein letzter Versuch ist, an seinem Nimbus als Genie festhalten zu können. Denn ein verkanntes Genie, ist immer noch ein Genie, nicht wahr? Doch aktuell sieht es eher so aus, als wären seine bis dato viel zu oft, von viel zu vielen Journalist:innen als genial bezeichneten Fähigkeiten als Manager doch nicht so genial wie gedacht.

Erlebt Musk vielleicht gerade deshalb sein Waterloo, weil sein CEO-Werkzeugkoffer zwar perfekt für die immer noch durch und durch patriarchalen Industrien (Geld-Paypal, Auto-Tesla und Raumfahrt-Space X) passt, aber nicht für das Silicon Valley?

Oder geht die Ära des Schockkapitalismus vielleicht einfach eh gerade zu Ende? Ich wage mal eine These: Eventuell erleben wir gerade ein Dinosauriersterben, das die Thiels und Musks, mit all ihrer toxischen Männlichkeit, dem Geniekult und dem Raunen gegen das Establishment hinwegfegt, und ihnen einen neuen Platz an der Tafel der Geschichte zuweist, nämlich in der Schmuddelecke der MAGA-Claqueure – ich hätte nichts dagegen, wenn dem so wäre, denn auf Twitter wird über kurz oder lang kaum noch jemand etwas von Musk, Trump und Co. mitbekommen!

Ich hoffe, ich behalte recht!

Frank-Thorsten Moll, 2024

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