Gedanken zur digitalen Selbstbestimmung

TikTok und die Doppelmoral des Westens

Die vier Social Media Giganten, © Frank-Thorsten Moll, 2023

Bereits seit 2020 versuchen politische Entscheider die Macht des größten Wettbewerbers der etablierten Social Media Plattformen Facebook, Instagram und Twitter zu beschneiden. Donald Trump persönlich zwitscherte wiederholt vom Verbot TikToks und fabulierte von Geheimdiensterkenntnissen, die vor politischer Einflussnahme und schlimmerem warnten. Auch zahlreiche demokratische Politiker:innen sind sich sicher, dass etwas getan werden muss. In Indien wurde bereits gehandelt und die App made in China ist heute in Indien verboten.

Die Argumente sind noch nicht mal an den Haaren herbeigezogen. Den Bedenkenträger:innen aus der Politik ist die Gefahr zu groß, dass China aka die Kommunistische Partei mit Hilfe von Hintertürchen und Tricks die App zur Desinformation und Spionage nutzen könnte.

Besorgte Eltern und Angehörige des Bildungswesens, sowie Pscholog:innen sprechen von den süchtig machenden Effekten der App, die diejenige bekannter Wettbewerber bei weitem übersteige. Von Spätfolgen für das Gehirn wird gesprochen und den negativen Folgen für Heranwachsende, die den „Don’t try this at home” Spielchen auf den Leim gehen.

An Gründen TikTok nicht auf seinem Smartphone haben zu wollen und schon gar nicht auf den Smartphones von Kindern mangelt es wahrlich nicht. Was jedoch nicht nur an Heuchelei grenzt, sondern zu einem Erklärbeispiel für dieselbe herangezogen werden könnte, ist die einseitige Dämonisierung einer App, deren Hauptnachteil offenkundig der Tatsache geschuldet ist, dass sie nicht im Silicon Valley programmiert, registriert und betreut wird. Die globalen Verwerfungen, die China vom Absatzmarkt zum quasi Wettbewerber um die Vormachtstellung in der Welt und daher zum quasi Schurkenstaat werden ließ, hat natürlich auch ihren größten digitalen Exportschlager TikTok in Misskredit gebracht.

Dabei treffen alle (ausnahmslos ALLE!) Argumente, die gegen TikTok zu Felde geführt werden, auch auf alle Apps aus dem Silicon Valley zu. Facebook, Twitter und Instagram können und werden von den amerikanischen Geheimdiensten genutzt, ausgewertet und kontrolliert. Sie sind süchtig machend, polarisierend, unterhöhlen den demokratischen Staat und seine Institutionen und haben nachweislich Auswirkungen auf die Psyche jüngerer wie älterer Nutzer:innen. Doch zum globalen Bannfluch wird in deren Fall nicht aufgerufen. Warum nicht?

Fakt ist, dass die Luft enger wird, nicht nur für TikTok, sondern für alle Social Media Plattformen, denn mit jedem guten Argument gegen TikTok wächst der Berg an guten Argumenten gegen die anderen drei Plattformen.

Aber wahrscheinlich kann die Politik auch einfach das tun, was sie viel zu lange gemacht hat, nämlich wegschauen. Twitter können wir nämlich gerade bei der – durch Elon Musks Managementstil beschleunigten – Implosion zuschauen. Facebook stirbt derweil den langsameren Tod an Überalterung und Irrelevanz und Instagram war für Meta schon immer eher Garant für eine symbolische Kapitalakkumulation und wird wahrscheinlich als letzte der großen Drei der Bedeutungslosigkeit anheimfallen.

Frank-Thorsten Moll, 2024

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